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Michail Sygar

Endspiel. Die Metamorphosen des Wladimir Putin. Aus dem Russischen von Frank Wolf

Köln: Kiepenheuer & Witsch 2015; 395 S.; 16,99 €; ISBN 978-3-462-04830-8
„Ich berichte davon, wie ein Mann durch puren Zufall König wurde“ (7). Mit diesen Worten leitet der Journalist und Chefredakteur des (nach eigenen Angaben einzigen) unabhängigen russischen TV‑Senders Doschd sein Buch über die Wandlungen – Metamorphosen, wie es im Buchtitel heißt – Wladimir Putins an der Spitze Russlands ein. Gleich zu Beginn widerspricht Michail Sygar dabei zwei immer wieder angeführten Narrativen zu dessen Herrschaft: Weder Putin und Russlands führende Politiker folgen einem strategischen Masterplan noch entspringen alle Entscheidungen der russischen Politik Putins individuellem Kalkül. Auch wenn es die Medien, die Weggefährten im engsten Kreise der Macht oder auch Putin selbst nachträglich so darstellen mögen, Russlands Führung habe im Jahr 2000 weder gewusst, wo sie 2015 stehen, noch sei ihr 2014 klar gewesen, wie sie das Jahr politisch einläuten würde. Dem „kollektive[n] Putin“ (8), dessen Entscheidungen auf der Arbeit ganzer Stäbe beruhe, bescheinigt Sygar ein selektives Erinnerungsvermögen, das seine Entscheidungen retrospektiv als rechtens, strategisch und angesichts eines permanenten Kriegs, den ihm seine Feinde aufgezwungen haben, als notwendig erscheinen lasse. Die Entwicklung Putins beschreibt Sygar in 18 Kapiteln, in denen er nicht Putin selbst, sondern Persönlichkeiten in den Mittelpunkt stellt, die für seinen Weg und Wandel von zentraler Bedeutung sind. Darunter finden sich Freunde und Vertraute wie der ehemalige Premierminister und Präsident Dmitri Medwedew, Gegner wie der georgische Expräsident Micheil Saakaschwili, Rivalen wie der mittlerweile ermordete Alexei Nawalny oder Handlanger wie der tschetschenische Stadthalter Moskaus Ramsan Kadyrow. Mit wenigen Ausnahmen hat Sygar mit ihnen allen im Verlaufe der vergangenen 15 Jahre Interviews führen können. Zusammen vermitteln diese Äußerungen einen Eindruck davon, wie jede dieser Personen auf Putin, seine Entscheidungen und den Wandel seiner Politik Einfluss genommen hat. Hieraus ergibt sich auch Sygars Widerspruch gegen die landläufige Darstellung Putins als alles logisch erfassende, strategisch lenkende Instanz in der Machtzentrale Russlands: Putin wird bei Sygar mal zum Lenker und mal zum Getriebenen, der sich den immer wieder als die Interessen Russlands verkauften Erwartungen und Anforderungen seines Umfeldes wahlweise ergeben oder sich diese zu eigen gemacht hat. Sygar zufolge gibt es den einen Putin am Ende eigentlich gar nicht: „Wir alle haben uns unseren Putin erschaffen. Und wahrscheinlich noch nicht die letzte Version“ (395).
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Rubrizierung: 2.622.22 Empfohlene Zitierweise: Christian Patz, Rezension zu: Michail Sygar: Endspiel. Köln: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39317-endspiel_47794, veröffentlicht am 28.01.2016. Buch-Nr.: 47794 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken