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Antoine Vauchez

Europa demokratisieren. Aus dem Französischen von Michael Halfbrodt

Hamburg: Hamburger Edition 2016; 136 S.; geb., 12,- €; ISBN 978-3-86854-296-7
Die Kritik, europäische Politik folge wesentlich einem technokratischen Modus, ist nicht neu; der an der Universität Paris I Sorbonne politische Soziologie lehrende Antoine Vauchez entwickelt diesen Einwand allerdings in einer originellen und erhellenden Weise. Vauchez geht von der von vielen geteilten Beobachtung aus, dass sich im europäischen Politikprozess „der Raum demokratischer Verfahren und der Raum der politischen Entscheidungspraxis [...] unaufhörlich voneinander entfernt“ (14) haben. Und dies, obschon es nicht an Versuchen gefehlt hat, wichtige Elemente der (nationalen) repräsentativen Demokratie – Direktwahl des Europäischen Parlaments, Gründung von Parteien auf europäischer Ebene, Einführung der Europäischen Bürgerinitiative – auf die Unionsebene zu übertragen. Gerade in der Eurokrise und an den zur Krisenbewältigung entwickelten Steuerungsinstrumenten (wie dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus) ist deutlich geworden, dass sich Europa auf Prozesse eingelassen hat, die Demokratie lediglich simulieren. Diese Diskrepanz – das ist seine zentrale These – beruht auf jener speziellen Kontinuität des europäischen Regierens, die den vermeintlich unabhängigen Institutionen – dem Trio aus Europäischem Gerichtshof, EU‑Kommission und Europäischer Zentralbank – einen Sonderstatus außerhalb des politischen Raums und jenseits der Legitimierung durch Wahlen zuschreibt. Vauchez möchte deshalb mit seiner Studie unseren Blick schärfen „für diese Politik, die sich nicht als solche zu erkennen gibt“ (51). Dabei gilt seine entschiedene Kritik diesem neuen Typus europäischer Legitimität, der – gestützt auf ein interessiertes Expertentum – die Objektivität von Entscheidungen aus der Distanz der unabhängigen Institutionen gegenüber den demokratischen Leidenschaften des Parteienwesens und den majoritären nationalen Politiken ableitet. Wenn sich Kommission, Gerichtshof und Zentralbank in dieser Weise satzungsgemäß auf Neutralität berufen, dann dient das dazu, die „ganz und gar politische Seite ihrer Identität im Dunklen“ (85 f.) zu belassen. Eine realistische Demokratisierungsstrategie der Europäischen Union müsste deshalb zunächst den – aufgrund ihrer Ernennungsbedingungen und der Logik ihrer Zusammensetzung – repräsentativen Charakter dieser Institutionen offenlegen. Dementsprechend müsste in einem zweiten Schritt ihre Rolle im demokratiepolitischen Prozess dergestalt neu gefasst werden, dass die Ausübung des europäischen Mandats nicht mehr dem Modus offenbarter Wahrheit folgt, sondern das „Produkt öffentlicher Debatten und Dispute […] einer Vielzahl nationaler und transnationaler Arenen“ (112) darstellt.
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Rubrizierung: 3.13.53.2 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Antoine Vauchez: Europa demokratisieren. Hamburg: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40052-europa-demokratisieren_48346, veröffentlicht am 08.09.2016. Buch-Nr.: 48346 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken