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Silja Klepp

Europa zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsschutz. Eine Ethnographie der Seegrenze auf dem Mittelmeer

Bielefeld: transcript Verlag 2011 (Kultur und soziale Praxis); 424 S.; 34,80 €; ISBN 978-3-8376-1722-1
Die Autorin präsentiert eine Studie zur Migration über das Mittelmeer nach Europa mit Blick auf die „alltägliche soziale Praxis und auf Aushandlungsprozesse“ (21). Im Rahmen von Forschungsreisen nach Libyen, Italien und Malta in den Jahren 2006 und 2007 hat sie Interviews mit zahlreichen Akteuren geführt. Klepps Ausgangspunkt vor dem Hintergrund wachsender Todeszahlen von Migranten ist die Frage, wie sich Grenzschutz und Flüchtlingsschutz zueinander verhalten und warum es offenbar an einer Durchsetzung der Rettungspflicht mangelt. Diese Perspektive ergänzt sie durch eine Analyse der politischen Rückwirkungen der Praxis von Grenzschutz und Flüchtlingsschutz auf die Institutionen der EU. Am Fall der Cap Anamur aus dem Jahr 2004 schildert die Autorin exemplarisch, wie aus einer Rettung von 37 Flüchtlingen ein Politikum wurde. Die italienischen Behörden verweigerten dem Schiff die Genehmigung zum Einlaufen in den Hafen und ließen es von Kriegsschiffen umringen. Die Innenministerien von Italien, Deutschland und Malta sprachen sich jeweils die Zuständigkeit ab. Klepp schildert, wie es darum gegangen sei, ein Exempel zu statuieren, damit „sich keine weitere humanitäre Organisation […] auf die Suche nach Schiffbrüchigen mache“ (270). Es werde deutlich, führt sie aus, wie es zu einer Regimekollision zwischen humanitärem Seerecht und Grenzschutzregime komme. Um diesen Konflikt zu entschärfen, sei auf EU-Ebene der 2003 eigentlich bereits als gescheitert geltende Vorstoß Großbritanniens, Flüchtlinge in Haftzentren außerhalb der EU festzuhalten, wieder aufgenommen und schließlich umgesetzt worden. Am weiteren Beispiel maltesischer Praxis, sich Migranten mit kleinen Booten zu nähern, um dem Zusammentreffen einen informellen Charakter zu geben und die Flüchtlinge zur Umkehr zu bewegen, illustriert Klepp den Versuch, sich mit absurd erscheinenden rechtlichen Winkelzügen der Asylsuchenden zu erwehren. Derart, resümiert sie, werde der einheitliche europäische Rechtsraum in der Praxis unterhöhlt, wobei sich insbesondere die nicht am Mittelmeer gelegenen Staaten aus der Verantwortung ziehen.
Sabine Steppat (STE)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 3.5 | 4.42 | 2.61 | 2.67 | 2.21 | 2.263 Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Silja Klepp: Europa zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsschutz. Bielefeld: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33911-europa-zwischen-grenzkontrolle-und-fluechtlingsschutz_40638, veröffentlicht am 08.03.2012. Buch-Nr.: 40638 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken