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Wolfgang Girnus / Klaus Meier (Hrsg.)

Forschungsakademien in der DDR – Modelle und Wirklichkeit

Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2014; 468 S.; hardc., 49,- €; ISBN 978-3-86583-838-4
Der institutionellen Verfasstheit der Wissenschaft in der DDR habe sich 1989/90 „keine zukunftsfähigen Anregungen entnehmen lassen“, heißt es im Vorwort. „Das ist unzweifelhaft ein Moment der historischen Wahrheit“. Herausgeber wie Autoren wollen es aber nicht bei dieser Momentaufnahme belassen, bei mehreren Workshops und einer Tagung unter dem Dach der Rosa‑Luxemburg‑Stiftung haben sie sich bemüht, über eine „multiperspektivische Wahrnehmung […] ein vielgestaltigeres und damit genaueres Bild der Wirklichkeit“ (11) zu erarbeiten. Im Mittelpunkt stehen dabei die außeruniversitären Forschungsakademien, mit denen an ältere deutsche Traditionen angeknüpft worden sei und deren erneute Etablierung auch im Einklang mit westdeutschen wie internationalen Trends gestanden habe. Die Darstellung dieser Akademien, die mehrere tausend wissenschaftliche Mitarbeiter hatten, zeichnet sich in den Beiträgen dadurch aus, dass der wissenschaftliche Blick mit dem vormals Beteiligter zusammengefügt wird. Im ersten Beitrag ordnet Hubert Laitko, von 1969 bis 1991 an der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) tätig, die ostdeutschen Forschungsakademien wissenschaftshistorisch ein. Einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der AdW, ihren Anspruch und ihre Verknüpfung mit Staat und Politik unter den Vorzeichen der Diktatur vermittelt der Physiker Ulrich Hofmann, der ihr langjähriger 1. Vizepräsident war. Sein Beitrag ist eine nüchterne Bestandsaufnahme, in der sich das Selbstverständnis als unabhängiger Wissenschaftler spiegelt, der gleichwohl dem System verpflichtet war. Hofmann schildert die wissenschaftlichen Zuarbeiten zu SED‑Parteitagen und dem Plan, benennt Verflechtungen mit den Ministerien und zeigt aber auch die Schwächen des Systems, das sich mit der (wissenschaftlichen) Elitenförderung schwertat. Bemerkenswert sind auch die hier wiedergegebenen Stichpunkte, mit denen anlässlich der Planberatung im März 1989 die gesamte wirtschaftliche Misere der DDR als strukturelles Problem benannt wurde. Wie wenig Einfluss aber Erkenntnisse hatten, die nicht zur Eigenwahrnehmung der Diktatur passten, lässt sich auch aus dem Beitrag des Soziologen Horst Berger, von 1977 bis 1991 an der AdW tätig, herauslesen. Das zur Akademie gehörende Institut für Soziologie und Sozialpolitik erhellte empirisch belegt zahlreiche Probleme, die die Gesellschaft belasteten, die Untersuchungsergebnisse durften aber nicht allgemein zugänglich gemacht werden. In dem Band wird zwar die durch die Wiedervereinigung ausgelöste Abwicklung der Akademie der Wissenschaften (die privatrechtlich organisiert als Leibniz‑Sozietät weiterexistiert) beklagt. Deren enge Verzahnung mit dem SED‑System aber hatte sie ihrer Glaubwürdigkeit und Zukunftsfähigkeit, siehe oben, beraubt. Nur ist mit der Auflösung der Forschungsinstitute sicher kein Urteil über den einzelnen Wissenschaftler verbunden.
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Rubrizierung: 2.3145.2 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Wolfgang Girnus / Klaus Meier (Hrsg.): Forschungsakademien in der DDR – Modelle und Wirklichkeit Leipzig: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38140-forschungsakademien-in-der-ddr--modelle-und-wirklichkeit_46442, veröffentlicht am 05.03.2015. Buch-Nr.: 46442 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken