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Cigdem Akyol

Generation Erdoğan. Die Türkei – ein zerrissenes Land im 21. Jahrhundert

Wien: Kremayr & Scheriau 2015; 208 S.; hardc., 22,- €; ISBN 978-3-218-00969-0
Der Titel steht in einer gewissen Tradition deutschsprachiger Veröffentlichungen zur Türkei, denn er verweist auf die gesellschaftliche und politische Polarisierung „eines zerrissenen“ Landes. Anders als bei den Beschreibungen der Zerreißprobe zwischen Europa und dem Orient, die im Zuge der EU‑Beitrittsdebatte en détail erörtert wurde, orientiert sich die Journalistin Cigdem Akyol an dem politischen Protagonisten und Dirigenten der „neuen Türkei“: Recep Tayyip Erdoğan. Dies ist konzeptionell einleuchtend, denn „in Erdoğan spiegelt sich die Entwicklung der [türkischen] Gesellschaft wider“ (22). Der Politiker zählt seit Staatsgründer Atatürk zu einem der einflussreichsten Personen in der politischen Arena. Erdoğan und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) haben sich das ambitionierte Ziel gesetzt, die Türkei in eine prosperierende Zukunft zu führen – eine Perspektive, die in der von Korruption und wirtschaftlichem Niedergang leidgeprüften türkischen Gesellschaft breite Unterstützung erfuhr, wie das Wahlergebnis 2002 widerspiegelte. Der Erfolg ließ nicht lang auf sich warten, die Türkei avancierte binnen weniger Jahre zu einer der am schnellsten wachsenden Nationalökonomien der Welt. Der Reformeifer der Regierung im Zuge des anvisierten Beitritts zur Europäischen Union war bis dato beispiellos hoch. Doch mit den Jahren wandelte sich der umstrittene Politiker vom einst pro‑europäischen Beitrittsverfechter zu einer zunehmend autoritären Führungsfigur. Akyol zeichnet die AKP‑Ära kritisch, aber fair nach und stellt die Entwicklungen und Kontroversen faktenreich dar. Dabei wirkt die Darstellungsweise ideologisch unbefangen, sprachlich außerordentlich pointiert und um Klarheit bemüht. Ihr gelingt eine spannende Skizzierung der politischen Tendenzen in verschiedenen Politikfeldern, die die Leser_innen bisweilen schockieren können, etwa hinsichtlich der türkischen Frauenpolitik oder der Presse‑ und Meinungsfreiheit. Die Regierung hat zwar fraglos einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung des Landes geleistet, aber der Eindruck von einem „autoritäre[n] Gesamtkomplex“ (153), von dem die Autorin auch spricht, relativiert die Errungenschaften und stimmt nachdenklich im Hinblick auf die Zukunft der Türkei.
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Rubrizierung: 2.632.212.222.242.272.25 Empfohlene Zitierweise: René Neumann, Rezension zu: Cigdem Akyol: Generation Erdoğan. Wien: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38475-generation-erdoğan_47011, veröffentlicht am 28.05.2015. Buch-Nr.: 47011 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken