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Petra Haustein

Geschichte im Dissens. Die Auseinandersetzungen um die Gedenkstätte Sachsenhausen nach dem Ende der DDR

Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2006; 491 S.; brosch., 29,- €; ISBN 978-3-86583-150-7
Politikwiss. Diss. FU Berlin; Gutachter: P. Steinbach. – Ein Beispiel für die Kontroversen um die gesamtdeutsche Erinnerungskultur seit 1989 ist nach Ansicht von Haustein der Konflikt um die Neukonzeption der Gedenkstätte Sachsenhausen. Bis 1945 waren im dortigen Konzentrationslager 204.000 Menschen aus 47 Nationen inhaftiert, im August 1945 richtete die Sowjetische Militärverwaltung an gleicher Stelle das größte Internierungslager ihrer Zone ein, mit insgesamt bis zu 60.000 Häftlingen. Zu ihnen zählten neben ehemaligen NS-Funktionsträgern und Wehrmachtsangehörigen auch willkürlich Verhaftete und Jugendliche unter „Werwolf-Verdacht“ sowie tatsächliche wie vermeintliche Gegner der Kommunisten. Das Lager wurde 1950 aufgelöst, 1961 wurde eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die NS-Opfer und den kommunistischen Widerstand eingerichtet. Diese drei historischen Schichten sind verbunden mit den höchst unterschiedlichen Erfahrungen der Opfer. Haustein stellt diese auf der Basis von Interviews in den Mittelpunkt und beschreibt den unüberwindlichen Dissens zwischen den Verfolgten des Nationalsozialismus und den Verfolgten des Stalinismus. Im Kern geht es um die Furcht der NS-Opfer, ihr Leiden und das NS-Regime könnten relativiert werden, sowie um die Auffassung, das sowjetische Speziallager habe der legitimen Entnazifizierung gedient; die Opfer des Stalinismus sehen sich dagegen als Opfer zweiter Klasse. Beiden Opfergruppen bescheinigt die Autorin, in der jeweils eigenen Sichtweise zu verharren, Fakten zu ignorieren, keine differenzierte Sicht zu entwickeln und damit das Leiden der Anderen eher zu ignorieren. Hinzu kommt eine problematische Wagenburgmentalität etwa wie in dem Fall eines nach 1945 inhaftierten NS-Euthanasie-Arztes, dessen Rolle von anderen stalinistischen Opfern zwecks Aufrechterhaltung der Gruppenidentität beschönigt wird. Auch nach der dezentralen Neukonzeption der Gedenkstätte sei der Dissens in der gegenseitigen Wahrnehmung bestehen geblieben. Ein gemeinsamer Blick auf die Erfahrungen in zwei totalitären Regimen ist damit nicht entstanden.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 | 2.315 | 2.312 | 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Petra Haustein: Geschichte im Dissens. Leipzig: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/27416-geschichte-im-dissens_32122, veröffentlicht am 27.03.2008. Buch-Nr.: 32122 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken