
Gewaltlosigkeit. Eine Gegengeschichte. Aus dem Italienischen von Erdmute Brielmayer
Domenico Losurdo klärt über Tragödien des Ideals der Gewaltlosigkeit auf. Beeindruckend in seiner Materialfülle, bietet das Buch einen großen historischen Überblick. Losurdo setzt sich mit Thoreau, Tolstoi und Gandhi auseinander, mit Martin Luther King, dem Dalai Lama und den Farbrevolutionen, er streift Niebuhr, Bonhoeffer, Simone Weil und Hannah Arendt. Er beginnt mit der American Peace Society, die beim Sepoy‑Aufstand die britische Kolonialmacht gegen die ‚Kriminellen‘ unterstützte, befasst sich ausführlich mit Gandhi und seiner politischen Entwicklung und beleuchtet Martin Luther Kings realistischen Pazifismus sowie Tolstois ethischen Pazifismus und Antimilitarismus. Am Beispiel des Konflikts zwischen China und Tibet demonstriert der Autor die Instrumentalisierung der Gewaltfreiheit durch westliche Mächte und verdeutlicht am Beispiel Georgiens (2003), wie Gewaltlosigkeit als Mittel für Destabilisierung und Staatsstreiche eingesetzt werden kann. Immer wieder zieht er Vergleiche zwischen gewaltloser, antikolonialer und antimilitaristischer Bewegung und verweist auf die Rolle, die die neuen Medien hierbei spielen. Eine der zentralen Thesen ist, dass Gewalt nicht etwa eine besonders extreme Form von Macht darstellt, sondern im Gegenteil, dass Gewalt immer dann eingesetzt wird, wenn es an Macht fehlt oder wenn Macht gefährdet ist. Die gewaltlose Bewegung entwickelt sich daher auf einer Welle der Enttäuschung, „die durch die nicht eingehaltenen Versprechen von der Verwirklichung ewigen Friedens“ (235) ausgelöst werden. Eine Welt ohne Macht und Gewalt ist eine Utopie. Eine Rhetorik der Gewaltlosigkeit kann auf Formeln der Macht, Herrschaft und auch der Gewalt nicht verzichten. Mit dem Hoffen auf ein Reich des Friedens ist es nicht getan. Der Krieg wird genauso wenig verschwinden wie das Phänomen des Duells zwischen Individuen. Was bleibt sind die Versuche einer institutionellen Begrenzung und Einhegung politischer, ethnisch‑religiöser und sozialer Konflikte.