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Jens König

Gregor Gysi. Eine Biographie

Berlin: Rowohlt 2005; 351 S.; 2. Aufl.; hardc., 19,90 €; ISBN 3-87134-453-2
Diese Biografie ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die Ambivalenz eines versuchsweise aufrechten Lebens unter diktatorischen Bedingungen sowie für das (nicht nur) westliche Nichtverstehen-Wollen und -Können dieser Ambivalenz. Der Journalist König erzählt die Karriere Gysis vor dem Hintergrund der Biografie des Vaters Klaus Gysi, der als Kommunist im Dritten Reich sein Leben riskierte und als Kulturfunktionär in der DDR den Anschein erweckte, der Teilstaat könnte doch noch das bessere Deutschland werden. Privilegiert aufgewachsen, habe sich Gysi für den Beruf des Anwalts entschieden, der der SED als überflüssiges Relikt des Bürgerlichen galt. Gysi habe aber gerade dieses bürgerliche Verständnis von Rechtsstaatlichkeit gezeigt, auch in seinen Plädoyers vor Gericht. Bekannt wurde er als Anwalt der Dissidenten Rudolf Bahro und Robert Havemann, und genau daran scheiden sich heute die Geister. Gysi wird der Vorwurf gemacht, seine Mandanten an die Stasi verraten zu haben. König findet für eine IM-Tätigkeit keinen Beweis. Vielmehr habe die Stasi Gysi 1986 „offiziell für IM-untauglich“ (205) erklärt. Bahro und Havemann hätten aber erklärtermaßen darauf gesetzt, dass Gysi für sie mit der Staatsmacht verhandelt – was er in ihrem Sinne auch erfolgreich getan habe. Der Autor schildert dann, wie Gysi mit der Wende zur „personifizierte[n] Restelite des Ostens“ (282) wurde und die PDS als Einmannunternehmen betrieb. In die Unnachgiebigkeit des westlichen Politestablishments und der Bürgerrechtler gegenüber Gysi, dessen Gratwanderungen als Anwalt man nicht verstehen wollte und dem es übelgenommen wird, dass er seit der Wende explizit ostdeutsche Interessen vertritt, mischt sich nach Ansicht des Autors unterschwelliger Antisemitismus. König aber erinnert sein scheinbar aus der Zeit gefallener Porträtierter daran, wie lebendig das intellektuelle Leben in Deutschland hätte sein können: „So aber symbolisiert [Gysi] in gewisser Weise das, was durch den Holocaust ausgelöscht wird: den Typus des jüdischen Intellektuellen der Weimarer Republik.“ (310)
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.32.3142.3152.35 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Jens König: Gregor Gysi. Berlin: 2005, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/24592-gregor-gysi_28406, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 28406 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken