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Sarah Herbert

Grenzen des Strafrechts bei der Terrorismusgesetzgebung. Ein Rechtsvergleich zwischen Deutschland und England

Freiburg: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht 2014 (Strafrechtliche Forschungsberichte Band S 138); XXIV, 300 S.; brosch., 35,- €; ISBN 978-3-86113-820-4
Rechtswiss. Diss. Freiburg; Begutachtung: U. Sieber, R. Hefendehl. – Seit 9/11 hat sich die Terrorismusbekämpfung in Deutschland verschärft. Der Vergleich mit England scheint hier lohnenswert, weil beide als rechtsstaatliche Demokratien, EU‑ und EMRK‑Staaten zugleich unterschiedlichen Rechtstraditionen und politischen Mentalitäten verpflichtet sind. Sarah Herbert zielt dabei aus juristischer Sicht weniger auf die konkrete „Reichweite der jeweiligen Terrorismusstraftatbestände“, sondern auf die „Bedeutung der [...] Begrenzungskriterien des Strafrechts“ (3) anhand von fünf Deliktsbereichen: terroristische Propaganda, Ausbildung, Besitz bzw. Vereinigung zu terroristischen Zwecken und Terrorismusfinanzierung. Ein zentraler Befund ist, dass der „Schutz der Allgemeinheit [...] im englischen Recht zu präventiv orientierten Regelungen [führt], die die Grenze zwischen Strafrecht und Gefahrenabwehrrecht stärker als im deutschen Recht verschwimmen lassen“ (267). Zugleich sei der Umgang mit dem Einzelnen härter. Politikwissenschaftlich von Interesse sind vor allem die Gründe, die Herbert zur Erklärung heranzieht: Allgemein sei für England eine liberal‑individualistisch‑utilitaristische Sozialphilosophie typisch, die neben der Generalprävention vor allem die persönliche Verantwortlichkeit des Täters stärker bewerte (daher: hartes Durchgreifen, höhere Strafgefangenenzahl). Deutschland dagegen folge einer Kultur des „konservativen Korporatismus“ (269) mit zum Teil kollektivistisch‑gemeinschaftsbezogener Prägung, die eher auf Integration (und Resozialisierung) setze. Historisch habe zudem der lange Kampf gegen die IRA und die stärkere Betroffenheit von tatsächlichen Anschlägen (am 7. Juli 2005 auf die Londoner U‑Bahn und einen Bus) zur Verschärfung geführt. Demgegenüber seien in Deutschland die Grenzen des Strafrechts wegen der Erfahrungen mit der NS‑Diktatur zumeist sogar unmittelbar verfassungsrechtlich verankert. Schließlich spiele in England eine für Deutschland typische, prinzipienorientierte Strafrechtsdogmatik kaum eine Rolle; die Strafrechtswissenschaft habe hier überhaupt wenig Einfluss auf Gesetzgebung und Justiz, während mit der „Jury“ das (demokratische) Laienelement in der Strafjustiz machtvoller ausfalle als das deutsche Schöffenelement. Insgesamt setze die Tradition des Common Law vielmehr auf das gerechte Urteil im Einzelfall: Das englische Strafrecht lasse daher zwar einerseits unbestimmtere Straftatbestände mit härteren Eingriffen zu, andererseits könne auch auf ein Gerichtswesen als Korrektiv vertraut werden, das mit seinen größeren Entscheidungsspielräumen für den konkreten Fall das richtige Maß finde.
Robert Chr. van Ooyen (RVO)
Dr., ORR, Hochschullehrer für Staats- und Gesellschaftswissenschaften, Fachhochschule des Bundes Lübeck; Lehrbeauftragter am OSI der FU Berlin sowie am Masterstudiengang "Politik und Verfassung" der TU Dresden.
Rubrizierung: 2.212.2632.252.3432.37 Empfohlene Zitierweise: Robert Chr. van Ooyen, Rezension zu: Sarah Herbert: Grenzen des Strafrechts bei der Terrorismusgesetzgebung. Freiburg: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37261-grenzen-des-strafrechts-bei-der-terrorismusgesetzgebung_45756, veröffentlicht am 03.07.2014. Buch-Nr.: 45756 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken