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Armin von Bogdandy

Gubernative Rechtsetzung. Eine Neubestimmung der Rechtsetzung und des Regierungssystems unter dem Grundgesetz in der Perspektive gemeineuropäischer Dogmatik

Tübingen: Mohr Siebeck 2000 (Jus publicum 48); XX, 548 S.; Ln., 228,- DM; ISBN 3-16-147171-7
Rechtswiss. Habilitationsschrift Berlin; Gutachter: A. Randelzhofer. - Die Arbeit soll eine neue Sichtweise der parlamentarischen Regierungsweise formulieren. Der Autor vertritt die These, dass die überkommene rechtswissenschaftliche Perspektive, die dem Parlament im Prozess der Gesetzgebung die bestimmende Position zuweist, überholt sei. Die politische und rechtliche Entwicklung des parlamentarischen Regierungssystems lasse sich anders angemessener und einfacher formulieren. Dem vom Autor vertretenen Modell zufolge kommt gubernativen Organen bei der Rechtsetzung die "hegemoniale" (2) bzw. bestimmende Rolle zu. Gubernative Organe versteht von Bogdandy als solche, die in den Verfassungen der untersuchten Rechtssysteme (Deutschland, England, Frankreich, Italien und Spanien) entweder als Regierung oder als Teile der Regierung bezeichnet werden. Die diesen Organen nach dem neuen Modell zukommende hegemoniale Rolle wird als bestimmende Machtstellung näher definiert. Letztere werde die durch die Mitwirkungsrechte anderer Akteure eingeschränkt; sie sei nicht Selbstzweck, sondern diene dazu, die der Verfassung zugrunde liegenden Prinzipien der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Funktionalität zu gewährleisten (2). Die Argumentation läuft darauf hinaus, vier Eckpunkte der alten Dogmatik aufzugeben und zu ersetzen (8). Erstens solle der Prozess der Rechtsetzung nicht länger vom Organ Parlament, sondern vom Organ Regierung aus begriffen werden. Zweitens sei das Recht der Rechtsetzung als ein System unterschiedlich komplexer, aufeinander arbeitsteilig bezogener Regime und nicht in der Dichotomie Verordnung-Gesetz zu konzipieren. Rechtsetzung sei drittens nicht als einseitiger Hoheitsakt, sondern als Ergebnis komplexer kooperativer Prozesse unter Einbeziehung einer Vielzahl von Akteuren (Regierung, Bürger- und Interessengruppen sowie Parlament und Parlamentarier) zu verstehen. Viertens seien Grundrechte und Staatsorganisationsrecht keine getrennten Normenkomplexe. Der zentrale Punkt der Arbeit, dass der Prozess der Entscheidungsfindung in parlamentarischen Regierungssystemen von der Regierung zusammen mit der oder den Mehrheitsfraktion(en) im Parlament und nicht vom Parlament als einer Einheit bestimmt werde, bietet aus politikwissenschaftlicher Sicht nichts Neues. Gleichwohl ist es ein berechtigtes Anliegen und ein Verdienst des Autors, dieser Sichtweise auch in der rechtswissenschaftlichen, speziell in der verfassungs- und staatsrechtlichen Diskussion die notwendige Geltung verschaffen zu wollen. Positiv ist auch anzumerken, dass von Bogdandy in seiner Betrachtung vor allem die Verfassungswirklichkeit zur Grundlage seines neuen Modells macht, anstatt diese wie in der überkommenen Sichtweise potenziell zu entlegitimieren. Allerdings nimmt der Autor Parteien gegenüber eine zu skeptische Haltung ein, wenn er sagt, die großen Parteien hätten in der Verarbeitung gesellschaftlicher Präferenzen zunehmend Schwierigkeiten und würden daher den überkommenen Leistungserwartungen nicht mehr genügen (71). Dies führt ihn zu der Annahme, dass Interessengruppen "in manchen Hinsichten eher als die Parteien in der Lage sind, die politischen Auffassungen der Bürger in den politischen Prozeß einzubringen" (71). Weiterhin ist kritisch anzumerken, dass der Autor die V. Republik Frankreichs zu den parlamentarischen Regierungssystemen rechnet. Aus dem Inhalt: I. Ein neues Modell der Rechtsetzung: 1. Das demokratische Prinzip; 2. Das rechtsstaatliche Prinzip; 3. Das funktionale Prinzip; 4. Die Krise der traditionellen Lehre der Staatsfunktionen und Gewaltenteilung; 5. Das parlamentarische Modell und seine Krise; 6. Rechtsetzung und Staatsaufgaben; Detaillierte Regelung als Freiheitsgefährdung? 7. Nutzen und Kosten detaillierter Regelung; 8. Die Regierung; 9. Bürger und Interessengruppen; 10. Parlament und Parlamentarier; 11. Gerichte und weitere staatliche Organe; 12. Eine begriffsgeschichtliche Einführung; 13. Die Trennung von Regierung und Verwaltung; 14. Die Konstituierung der Regierung; 15. Autonomisierung und Stabilisierung; 16. Die Regierung - ein Repräsentationsorgan?; 17. Staatswissenschaftliche Erkenntnisse; 18. Die Kompetenzen der Regierung im Gesetzgebungsprozeß; 19. Leitung der Gesetzgebung als Regierungsfunktion. II. Allgemeine Lehren der Rechtssatzformen; III. Die gubernativen Rechtssatzformen.
Sven Christian Singhofen (SCS)
M. A., Doktorand, Institut für Sozialwissenschaft (Bereich Politikwissenschaft), Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.21 | 2.32 | 5.41 Empfohlene Zitierweise: Sven Christian Singhofen, Rezension zu: Armin von Bogdandy: Gubernative Rechtsetzung. Tübingen: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/10241-gubernative-rechtsetzung_12113, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 12113 Rezension drucken