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Olivier Guez

Heimkehr der Unerwünschten. Eine Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945. Aus dem Französischen von Helmut Reuter

München/Zürich: Piper 2011; 410 S.; geb., 22,95 €; ISBN 978-3-492-05262-7
In einigen Passagen liest man nicht nur die Verwunderung des Journalisten Guez darüber heraus, dass es in Deutschland wieder ein vielfältiges jüdisches Leben gibt. Es schimmert auch ein fast schon unwilliges Erstaunen darüber durch, wie seltsam normal dieses Land geworden ist. Diese über Jahre und Jahrzehnte gewachsene Normalität zeigt sich in den Biografien zahlreicher Menschen, die Guez für dieses Buch interviewt hat, und in den zahlreichen anderen recherchierten Lebensläufen. Erzählt wird von Jüdinnen und Juden, die nach dem Ende von Holocaust und Weltkrieg in Deutschland blieben oder weggingen und wiederkamen, von der folgenden Generation, die teilweise ihr Glück vergeblich in Israel suchte und dann über eine Integration in die Linke in der Bundesrepublik der 60er- und 70er-Jahre heimisch wurde, von der Verleugnung des Judentums in der DDR, den schwierigen 80er-Jahren im Westen, in denen sich Kohl und Reagan in Bitburg trafen, und von der Einwanderung der sowjetischen Juden, gewährt als eine Form des Schuldeingeständnisses und der Verantwortungsübernahme. Guez schildert damit nicht nur einfühlsam, wie eine „alternative jüdische Identität“ (239) geboren wurde, die trotz der Schatten der Vergangenheit gelebt werden konnte und kann. Pars pro toto hat er damit auch eine Geschichte der politischen Kultur der Bundesrepublik geschrieben, die durch die spezifische jüdische Perspektive scharfkantig konturiert wird. Nachzulesen ist damit der lange Weg von der fast vollständigen Verdrängung des Holocaust im öffentlichen Bewusstsein in der Nachkriegszeit über die gerichtliche Aufarbeitung und langsame Etablierung der Jüdinnen und Juden als fester Bestandteil der Gesellschaft bis hin zu einem reichen, von der öffentlichen Mehrheitsmeinung unterstützten jüdischen Leben. Als ein illustrierendes Beispiel dafür, dass die Jüdinnen und Juden in der Mitte der Gesellschaft leben, nennt Guez den Film „Alles auf Zucker“, in dem Dani Levy den Ost- und Westdeutschen mithilfe zweier verfeindeter jüdischer Brüder einen amüsanten Spiegel vorhält. Die „unmögliche Rückkehr“ des jüdischen Lebens in Deutschland sei, so lautet das hoffnungsvolle Fazit, „in vollem Gang“ (377).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 | 2.31 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Olivier Guez: Heimkehr der Unerwünschten. München/Zürich: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33623-heimkehr-der-unerwuenschten_40261, veröffentlicht am 01.09.2011. Buch-Nr.: 40261 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken