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Egon Krenz

Herbst '89

Berlin: edition ost 2009; 479 S.; 14,90 €; ISBN 978-3-360-01806-9
Krenz, als Nachfolger Erich Honeckers der letzte Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und erster Mann der DDR, führte in der Wendezeit ausführlich Tagebuch. Aus jenen Aufzeichnungen entstand ein Erinnerungsbuch, das 1999 erstmals erschien und nun – um ein umfängliches Vorwort und Notizen aus der Haft erweitert – erneut publiziert wurde. Der hysterische Ton vieler Publikationen und eine Verteufelung der DDR im Jubiläumsjahr der Maueröffnung zeige nur, so Krenz, dass „die Bundesrepublik mit dem politischen Erbe der DDR nicht fertig wird“ (8). Die Ausspitzelung der Bundesbürger durch den eigenen Nachrichtendienst bleibe ebenso unaufgearbeitet, wie die Unwahrheit nicht korrigiert werde, dass die DDR durch ihre Finanzlage 1989 kurz vor der Unregierbarkeit gestanden habe, beklagt der Autor. Diese Einschätzung in einem von Krenz selbst in Auftrag gegebenen Gutachten habe sich lediglich auf die Konsequenzen der Reformanweisungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank bezogen. Abenteuerlich werden die Schilderungen, wenn Krenz auf das Agieren der Sowjetunion zu sprechen kommt. So mutmaßt er: „Bevor die Bundesregierung in Sachen Einheit überhaupt aktiv werden konnte, war schon alles zwischen Washington und Moskau vorbesprochen.“ (30) Im KPdSU-Politbüro habe es sogar Überlegungen gegeben, selbstständig die Mauer abzubauen – Überlegungen die Krenz als „weltfremd“ (35) und imperial anmaßend klassifiziert. Inwieweit hinter solchen Gedankenspielen die Einschätzung gestanden haben mag, dass die DDR-Führung nicht reformfähig sei, führt er leider nicht aus. Ganz im Stile vieler vergleichbarer Bücher verweist der Autor zwar auf Fehlentwicklungen in der DDR („übertriebenes Sicherheitsdenken“ [431]), jedoch in der Regel nur, um, wenn auch nicht völlig zu Unrecht, die gegenwärtige Geschichtsschreibung und -politik oder die Geschehnisse um die Tätigkeiten der Treuhand zu verurteilen. Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht, das seinerseits stellenweise revisionistisch anmutet.
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.314 | 2.315 | 2.35 | 2.3 Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Egon Krenz: Herbst '89 Berlin: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/31438-herbst-89_37422, veröffentlicht am 15.12.2009. Buch-Nr.: 37422 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken