Skip to main content
Christian Domnitz

Hinwendung nach Europa. Öffentlichkeitswandel im Staatssozialismus 1975-1989

Bochum: Verlag Dr. Dieter Winkler 2015 (Herausforderungen 23); 454 S.; kart., 68,70 €; ISBN 978-3-89911-225-2
Politikwiss. Diss. Frankfurt/Oder. – Die „Wiederentdeckung und Wiedererfindung Europas“ (14) habe vor dem Hintergrund des Kalten Krieges als Deutungsstreit um geografische sowie kulturelle Identität und demokratische Werte stattgefunden, schreibt Christian Domnitz. In Ostblock‑Ländern hätten oppositionelle Intellektuelle das westliche Europa als utopisches Ideal und als Gegenentwurf zum Sowjet‑Kommunismus gesehen. In seiner Dissertation untersucht der Autor, wie Europa in der politischen Publizistik der sozialistischen Länder DDR, Volksrepublik Polen und ČSSR erzählt und beschrieben wurde. Für den Untersuchungszeitraum von 1975 bis 1989 bezieht er die offiziellen Partei‑ und Staatsmedien sowie die oppositionellen Stimmen mit ein. Er fokussiert besonders den „Wandel und die Deutungskonkurrenz“ (15) der Europa‑Narrative und den Transfer der Europabilder zwischen alternativer und offizieller Diskursebene. Staatsnahe Medien wie die Wochenpublikationen „Polityka“ (Polen), „Tvorba“ (Tschechoslowakei) und „horizont“ (DDR) hätten in einem Spannungsfeld zwischen staatlicher Medienlenkung und Zensur sowie ihrem Anspruch an intellektuelle Unabhängigkeit gestanden. Ihre Spielräume seien von den jeweiligen aktuellen politischen Rahmenbedingungen abhängig gewesen. Besonders die DDR‑Journalisten „verinnerlichten die Richtlinien der Medienkontrolle“ (98) und neigten zu starker Selbstzensur. Eine allgemeine „Verteufelung des Westens“ (158) beobachtet Domnitz in den offiziellen Medien, differenziert aber, dass etwa die „Polityka“ um Versachlichung bemüht gewesen sei und weniger auf reine Propaganda gesetzt habe. Eine nationalistische Abgrenzung gegenüber dem westlichen Europa mit dem Aufbau von Feind‑ und Bedrohungsbildern sei letztlich bis zum Ende des Staatssozialismus in allen drei Ländern betrieben worden. Seit den 1970er‑Jahren und den KSZE‑Treffen in Helsinki hätten die Regierungen aus Selbsterhaltungstrieb aber vermehrt eine friedliche europäische Koexistenz und Kooperation zwischen Ost und West beziehungsweise zwischen Kommunismus und Kapitalismus propagiert. Im publizistischen Untergrund Zentraleuropas hätten zwei Narrative dominiert: die Einigung des Kontinents auf Augenhöhe und die historische Zugehörigkeit zu „einer europäischen Zivilisation“ (273), die auf westlichen Normen basiert. Heute sieht der Autor eine deutliche Ost‑West‑Annäherung in der Debatte um „Europhorie und Europhobie“ (373). Diese Zustände seien inzwischen beiderseits des ehemaligen eisernen Vorhangs zu finden.
{WDE}
Rubrizierung: 3.1 | 3.2 | 2.61 | 4.42 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Christian Domnitz: Hinwendung nach Europa. Bochum: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39451-hinwendung-nach-europa_47860, veröffentlicht am 25.02.2016. Buch-Nr.: 47860 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken