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Tilman Mayer (Hrsg.)

Im "Wartesaal der Geschichte". Der 17. Juni als Wegmarke der Freiheit und Einheit

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014; 184 S.; brosch., 39,- €; ISBN 978-3-8487-1392-9
Im Mittelpunkt dieses Sammelbandes steht die (erinnerungs)geschichtliche Verortung des 17. Juni 1953. Er ist das Ergebnis der Tagung „17. Juni – Eine Bilanz nach 60 Jahren“, die im Oktober 2013 in Königswinter stattfand. Peter Graf von Kielmansegg greift die schon lange geführte Diskussion auf, ob die DDR als totalitär charakterisiert werden sollte oder nicht. Er positioniert sich zwar eindeutig auf der Seite der Befürworter_innen der Totalitarismustheorie, schlägt aber, um eine analytisch leistungsfähige (und nicht per se bewertende) Konzeption weiterzuentwickeln, vor, auf Überlegungen aus den frühen 1950er‑Jahren von Martin Draht zurückzugreifen und für die Analyse fruchtbar zu machen. Kielmansegg nutzt Drahts Idee, von einem Primärphänomen (die grundsätzliche Veränderung der Welt) auszugehen und spricht von einem „totalitäre[n] Programm, eingebettet in eine, in der Regel manichäische, Welterklärung“ (130). Das Programm lasse sich laut Kielmansegg mithilfe von drei weiteren sekundären Aspekten analytisch erfassen: erstens der Monopolisierung der Herrschaftsmacht; zweitens die ihrem Anspruch nach unbegrenzte Reichweite der Herrschaft; drittens die fehlende Einschränkung der Sanktionsgewalt. Bei der Untersuchung eines konkreten Fallbeispiels, so Kielmanseggs Vorschlag, sollte aber nicht nur die Frage verhandelt werden, ob das System totalitär war, so wie es vielfach gemacht wird, sondern eben auch der Blick darauf gerichtet werden, was er „widerständige Wirklichkeit“ (141) nennt und dazu führt, dass nicht alles in das Konstrukt passt. Auch Ehrhart Neubert bezieht sich auf das, was Kielmansegg totalitäres Programm nennt und skizziert das kommunistische Projekt, das auf die Herstellung eines einheitlichen Gesellschaftskörpers ziele. Diese Idee enthalte unzweifelhaft Momente, die sich nicht mit pluralistischen, modernen Gesellschaften vereinbaren lassen. Der Versuch, diese „Fiktion in die Realität [zu] bringen“ (89), sei auch mit dem Einsatz von Gewalt unternommen worden – der 17. Juni stehe sinnbildlich dafür, dass Herrschaftsapparat und Gesellschaft nicht gemeinsam die Umsetzung dieser Fiktion vorantrieben. Trotz dieser von vielen Sozialistinnen und Sozialisten geteilten Erkenntnis seien viele intellektuelle Köpfe nicht von der Idee abgerückt – und haben sich damit nach Ansicht von Neubert in die „freiwillige geistige Knechtschaft“ (93) begeben.
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Rubrizierung: 2.3142.252.61 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Tilman Mayer (Hrsg.): Im "Wartesaal der Geschichte" Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38109-im-wartesaal-der-geschichte_46061, veröffentlicht am 26.02.2015. Buch-Nr.: 46061 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken