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Cornelia Geißler

Individuum und Masse – Zur Vermittlung des Holocaust in deutschen Gedenkstättenausstellungen

Bielefeld: transcript Verlag 2015 (Histoire 71); 392 S.; 36,99 €; ISBN 978-3-8376-2864-7
Politikwiss. Diss; Berlin; Begutachtung: W.‑D. Narr, M. Zuckermann. – Die Opfer des Holocaust wurden als Kollektiv von den Tätern verfolgt, ihre Schicksale erlitten sie aber individuell, als persönliche Erfahrung. Angesichts dessen seien, so betont Cornelia Geißler, „Täterquellen“ (11), also offizielle Dokumente der Nationalsozialisten und ihrer Helfer, völlig ungeeignet, diese individuellen Perspektiven zu vermitteln. Es müsse daher bei der Erinnerung an den Holocaust verhindert werden, dass die Individualität der Opfer „auch in unserer Wahrnehmung“ (12) in den Hintergrund tritt. „Mich interessiert, anhand welcher Präsentationsmittel [Gedenkstätten] im Museumsraum welche Botschaften transportieren und inwiefern ihre Ausstellungsbereiche es vermögen, die Beunruhigung aufrechtzuerhalten, die Auschwitz für die moderne Gesellschaft fortdauernd bedeutet.“ (22) Daher untersucht sie die Ausstellungskonzepte von drei deutschen Gedenkstätten und fragt, wie diese von den Besuchern wahrgenommen werden. Seit den 1990er‑Jahren setzten die Dokumentations‑ und Gedenkzentren vermehrt auf persönliche Zeugnisse und Biografien und damit stärker auf die Perspektive der Opfer, so die Beobachtung, weniger auf die der Täter. In der KZ‑Gedenkstätte Neuengamme werde bei der Präsentation der Informationen etwa auf einen breiten, multiperspektivischen Ansatz und einen kritischen Umgang mit Quellen Wert gelegt. Auf den Ansatz der Oral History aufbauend, würden dort mit Auszügen aus Häftlingsberichten, Zeichnungen sowie privaten Fotos und Gegenständen die Betrachtenden unmittelbar personalisierend angesprochen. Geißler kritisiert aber, dass die einst gegen Widerstände erkämpfte Realisierung der Gedenkstätte als „Happy End der hamburgischen und deutschen Geschichtspolitik“ präsentiert werde und die Ausstellung damit, „von verstörenden Gegenwartsbezügen befreit“, zum „staatsaffirmierende[n] ‚Lernort‘“ (210) werde. Aus Interviews und Gruppendiskussionen mit Schülergruppen zieht die Autorin die Erkenntnis, dass das Ziel, „den jungen Besuchenden über Empathie die NS‑Verbrechen und ihre Opfer nahezubringen“ (307), von den Ausstellungsmachern grundsätzlich erfolgreich erreicht werde. Geißler, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am internationalen Institut für Holocaust‑Forschung Yad Vashem in Jerusalem arbeitet, legt eine methodisch vielseitige und in der Analyse differenzierte Studie vor.
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Rubrizierung: 2.352.312 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Cornelia Geißler: Individuum und Masse – Zur Vermittlung des Holocaust in deutschen Gedenkstättenausstellungen Bielefeld: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39410-individuum-und-masse--zur-vermittlung-des-holocaust-in-deutschen-gedenkstaettenausstellungen_47786, veröffentlicht am 18.02.2016. Buch-Nr.: 47786 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken