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Anett Keller (Hrsg.)

Indonesien 1965 ff. Die Gegenwart eines Massenmordes. Ein politisches Lesebuch. Hrsg. für die Südostasien-Informationsstelle

Berlin: regiospectra Verlag 2015; 213 S.; kart., 19,90 €; ISBN 978-3-940132-68-0
Die Beiträge des Bandes, die allesamt von indonesischen Autor_innen stammen, werfen einen Blick auf ein ebenso dunkles wie – aus westlicher Perspektive – so gut wie vergessenes Kapitel der Geschichte: „Das immense Ausmaß der damals verübten Gewalt steht in einem starken Missverhältnis zum geringen Wissen, das im Ausland darüber vorhanden ist.“ (9). Mitte der 1960er‑Jahre waren in Indonesien im Rahmen der Niederschlagung eines Militärputsches durch den späteren, von 1967 bis 1998 diktatorisch regierenden Staatspräsidenten Haji Mohamed Suharto nach verschiedenen Schätzungen „500.000 bis 3 Millionen“ (7) Menschen getötet worden. Was macht eine so unfassbar hohe Zahl politischer, antikommunistisch motivierter Morde mit einer Gesellschaft? Die hier versammelten wissenschaftlichen Beiträge, aber auch Protokolle von Überlebenden und Profile der mit der Aufarbeitung beschäftigten Organisationen ermöglichen es, dem Nichtwissen (oder der Ignoranz) zumindest so etwas wie eine Ahnung von dem, was war, entgegenzustellen. Eine Ahnung, beschrieben aus der Perspektive einer Überlebenden, liest sich dann so: „Doch sie entdeckten uns. [...] Sie rannten auf uns zu und zogen uns aus dem Bambusgestrüpp. Vor den Leichen meines Mannes und meiner Schwiegereltern rissen sie mir die Kleider vom Leib. ‚Bringt sie um! Umbringen! Verbrennt sie! [...] Hure! Kommunistin! Hexe!’“ (61). Und etwas weiter: „Aus mir ist eine leere Hülle geworden.“ (64). Nicht nur die unbeschreibliche Abscheulichkeit solcher Verbrechen, von denen hier nur eines von hunderttausenden beschrieben ist und die allesamt zerstörte Leben hinterlassen haben, eröffnen den Blick in einen Abgrund des Menschseins. Verschlimmert wird dieser Blick noch angesichts des Wissens darum, dass eine Auseinandersetzung, wie der Soziologe Gde Putra beklagt, weitestgehend ausbleibt. Das liege nicht nur daran, dass man an derlei Erinnerungen einfach nicht mehr rühren wolle. Neben der gezielten Verdrängung seien „auch zahlreiche (lokal‑)politische Motive, insbesondere ungeklärte Landfragen“ (67) ausschlaggebend dafür, eine Aufklärung der Morde nicht weiter anzustreben. Und ganz wichtig: „Bali ist heutzutage ein international bekanntes Touristenziel. Der Tourismus gibt den Blick frei auf Balis Schönheit, nicht aber auf den zerrütteten Zustand der Insel. Die düstere Vergangenheit wird unterdrückt, damit das Geschäft mit dem Tourismus läuft [...].“ (68). – Manchmal bleibt dann in der Tat nur Sprachlosigkeit, die der Band hoffentlich zu durchbrechen helfen kann.
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Rubrizierung: 2.68 | 2.27 | 2.22 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Anett Keller (Hrsg.): Indonesien 1965 ff. Berlin: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39030-indonesien-1965-ff_47453, veröffentlicht am 29.10.2015. Buch-Nr.: 47453 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken