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Tyma Kraitt (Hrsg.)

Irak. Ein Staat zerfällt. Hintergründe, Analysen, Berichte

Wien: Promedia 2015; 221 S.; brosch., 17,90 €; ISBN 978-3-85371-385-3
„In wohl keinem anderen Land des Nahen und Mittleren Ostens hat der Reichtum an ‚Schwarzem Gold‘ einen derart hohen Blutzoll gefordert wie im Zweistromland.“ (7) Herausgeberin Tyma Kraitt stellt den Irak als konfessionell und ethnisch zutiefst zerrissenes Land vor, zerrüttet durch den Krieg von 2003 und die anschließende achtjährigen Besatzung. Die Autorinnen und Autoren widmen sich nicht nur den historischen und gesellschaftlichen Hintergründen, sondern auch innen‑ und außenpolitischen Entwicklungen. Die Kultur‑ und Sozialanthropologin Myassa Kraitt untersucht die Situation der Frauen. Sie seien „aufgrund des jahrelangen Kriegszustands kontinuierlicher, sexualisierter Gewalt ausgesetzt“ (119); zudem gebe es seit dem Golfkrieg 1990/91 massive Rückschritte bei den Frauenrechten und in der Frauenpolitik. Grund dafür sei die zunehmende „Bedeutung klerikal‑politischer Kräfte“ (123), die unter anderem auf ein neues Personenstandsgesetz hinwirkten – mit gravierenden Auswirkungen auf die irakischen Frauen, wie Kraitt an Beispielen zeigt: „Artikel 101 des neuen Gesetzesentwurfs spricht Männern das Recht auf uneingeschränkten Sex mit ihren Ehefrauen zu, was […] Vergewaltigung in der Ehe […] legitimiert.“ (126) Die Errungenschaften der irakischen Frauenbewegung – im Bildungsbereich und gesellschaftlich – würden systematisch wieder zunichte gemacht. Der Politologe Werner Ruf kritisiert scharf die Haltung der westlichen Staaten (siehe auch Buch‑Nr. 42312), ihre geostrategischen Interessen als Maßstab für jegliches Handeln im Nahen und Mittleren Osten zu nehmen: „Der bellizistische Menschenrechtsdiskurs wird nur aktiviert, wenn es um Interessen geht.“ (178) Die bereits von Kraitt beschriebene Konfessionalisierung der Politik beobachtet Ruf in der gesamten Region und prophezeit, dass „religiöse Ordnungs‑ und Identitätsvorstellungen“ letztendlich „auf Jahrzehnte zu blutigen Konflikten, Vertreibungen und Völkermord führen“ (177). Wie der Westen reagiere, hänge allein davon ab, inwieweit sich in diesem Szenario die Energiesicherheit gewähren lasse, so Rufs pessimistischer Ausblick.
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Rubrizierung: 2.632.252.274.414.222.644.424.3 Empfohlene Zitierweise: Simone Winkens, Rezension zu: Tyma Kraitt (Hrsg.): Irak. Wien: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39021-irak_47112, veröffentlicht am 29.10.2015. Buch-Nr.: 47112 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken