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Michael Schwelien

Joschka Fischer. Eine Karriere

Hamburg: Hoffmann und Campe 2000; 316 S.; geb., 20,40 €; ISBN 3-455-11330-3
Schlaglichter einer ungewöhnlichen Politikerbiographie: revolutionärer "Sponti", der die Arbeiter bei Opel zu Streik und Aufruhr anstachelt; Hausbesetzer im Frankfurter Westend; Fundamentaloppositioneller im Bundestag; Minister in Turnschuhen; leibesfülliger Realpolitiker; graumelierter Außenminister im Nadelstreifen-Anzug. Der Autor, der Fischer aus der gemeinsamen Zeit in der Frankfurter Anarchoszene kennt, beginnt seine Biographie mit einem Daumenkino, dessen Durchlauf er an einigen Stellen unterbricht, um wenige Augenblicke bei den einzelnen Entwicklungsstationen Fischers zu verharren. Anekdotenreich, mit Liebe zum Detail und Wissen aus dem Nähkästchen führt er den Leser an eine Lebensgeschichte heran, die er seit 30 Jahren, mal aus unmittelbarer Nähe, mal aus der Ferne, verfolgt hat. Überzeugend gelingt es ihm dabei, Distanz zu wahren, sich weder in Apologie noch in zynische Kritik zu versteigen. Schonungslos bemerkt er zum Fischer der frühen 90-er Jahre: "[A]us der Kämpfernatur war ein behäbiger Vielfraß geworden" (24), um kurz darauf dessen autodidaktisches Talent, "die vielen Fäden des Wissens zu einem großen Teppich zu verknüpfen" (28), anzuerkennen. In Anlehnung an Max Webers Abhandlung hätte Schweliens Abhandlung ebenso gut den Titel "Politik als Beruf" tragen können. Ein Leitmotiv nämlich durchzieht das thematisch strukturierte Buch, das die Gegenwart immer wieder um narrative Episoden aus der Vergangenheit ergänzt: "Fischers Laufbahn war eine rein politische, er lebte immer für und von der Politik" (25). Geschult in der Subkultur der WG- und Kneipenszene, verknüpfe Fischer den Machtinstinkt eines Helmut Kohl mit der Fähigkeit des großen Kommunikators Reagan und verstehe es, mit der Presse umzugehen wie Gerhard Schröder. Auch der Fischer vielfach als Kapitulation vor vergangenen Idealen vorgehaltene Eintritt in den Kosovo-Krieg lässt sich aus dieser Perspektive in seine zwar nicht bruchlose, aber einem kontinuierlichen Motiv folgende Laufbahn einordnen: "Joschka Fischer war [...] schon in seiner Jugend kein Pazifist, er war schon immer zum Kampf bereit." (19) An einigen Stellen mag der Leser des Autors Versuch, Fischers Politikstil aus den Stürmen seiner Biographie zu erklären, überzogen finden - etwa wenn seine familiäre Vertreibungsgeschichte zur Erklärung seiner Kosovo-Politik herangezogen wird. Dennoch ist der Versuch, Fischers Karriere aus seinem Machtinstinkt und seinem Willen zur Anpassung ohne Opportunismus zu erklären, im Ganzen überzeugend.
Florian Weber (FW)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.3 | 2.331 | 2.322 Empfohlene Zitierweise: Florian Weber, Rezension zu: Michael Schwelien: Joschka Fischer. Hamburg: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/13005-joschka-fischer_15584, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 15584 Rezension drucken