Konservatismus – Konturen einer Ordnungsvorstellung
Im Unterschied zum Liberalismus und Sozialismus lässt sich beim Konservatismus als politischer Theorie ein „Defizit“ feststellen. Das mag daran liegen, dass dieser als altmodisch gilt, auf „Bewahrung“ zielende Einstellungen sich im politischen Prozess infolge der „normativen Kraft des Faktischen“ ohnehin weniger rechtfertigen müssen, aber auch nicht zuletzt daran, dass der Konservatismus angesichts von Faschismus und Nationalsozialismus versagt hat. Müller konstatiert weitere Problematiken des „Theoriedefizits“: Zunächst sei der Konservatismus so heterogen, dass sich nicht durchgängig ein gemeinsames Theorieband finden lasse. Vor allem aber sei er gerade durch Denkrichtungen geprägt, die dem „Gefühl und der Intuition den Vorzug“ (7) gäben, und vor diesem antirationalen Hintergrund eine Theoretisierung als wirklichkeitsfremd überhaupt ablehnten. Demgegenüber betont er die Notwendigkeit konservativer Theoriefähigkeit, um sich gegenüber den weltanschaulichen Gegnern als zukunftsfähig behaupten zu können. In diesem Sinne geht es Müller um „Rationalisierung“. Im Rückgriff auf Edmund Burke – aber auch in der Auseinandersetzung mit F. A. von Hayek – kommt er zu dem Ergebnis: „[E]in vernünftiger Konservativer [kann] kaum der Auffassung sein, dass das soziale und politische Heil in Zuständen liegt, die vor 1789 geherrscht haben“ (191). Vielmehr müsse der „liberale Konservative, der sowohl dem schieren Fortschreiten als auch dem dogmatisch verbrämten Stillstand eine Absage erteilt, [...] in jeder Epoche darüber entscheiden, was erhaltenswert ist“ (192) – und was eben nicht. Damit wird der theokratisch geprägten Denkrichtung konservativer Gegenrevolutionäre – etwa im Sinne des für den politischen Theologen Carl Schmitt wichtigen Joseph de Maistre – eine klare Absage erteilt. Man muss selbst kein Konservativer sein, um genau diese Intention des Buches wertzuschätzen.