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Urs Lindner

Marx und die Philosophie. Wissenschaftlicher Realismus, ethischer Perfektionismus und kritische Sozialtheorie

Stuttgart: Schmetterling Verlag 2013; 422 S.; brosch., 29,80 €; ISBN 978-3-89657-060-4
Diss. FU Berlin; Begutachtung: F. Wolf, G. Gebauer. – Die vergangenen Krisenjahre haben nicht zuletzt eine erneute Hochkonjunktur der Rezeption von Marx mit sich gebracht, in der dieser wieder selbstbewusst als Stichwortgeber für eine Sozialkritik und die Analyse von Wirtschaft und Gesellschaft herangezogen wird. Gleichzeitig bleiben aber die alten Schwierigkeiten – die man gemeinhin heranzitierte, um den Tod Marx' zu beschwören – im Umgang mit seinem Werk erhalten: dazu gehört eine paternalistische Philosophiekonzeption des jungen Marx oder aber der deterministische Impetus seiner Geschichtsphilosophie. Lindner nimmt dies zum Anlass einer detaillierten Aufarbeitung des umfangreichen wie unabgeschlossenen und heterogenen Werkes. Aus drei Perspektiven blickt er auf Marx’ philosophisches System – aus einer wissenschaftstheoretischen, ethischen und dekonstruktiven – und findet diesen so als einen ethisch perfektionistischen, anti‑essentialistischen Realisten vor. Diese Einschätzung, mit der Lindner viele der Standardvorwürfe gegen Marx zurückweisen kann, plausibilisiert sich an der Periodisierung von dessen Werk, die gleichzeitig Lindners Auseinandersetzung strukturiert. So wird klar, wie sich der junge Marx vom Junghegelianismus und seiner ersten Philosophiekritik ab‑ und dem Sozialismus zuwendet, indem „er sich nun für immanente Kritik ausspricht“ (89). Diese Bewegung hin zu einer realistischen Sozialphilosophie beschreibe dabei, so Lindner, eine grundlegende Revision Marx’ eigener Annahmen. Ebenso stehe auch seine Geschichtsphilosophie in einem Spannungsverhältnis zu seiner Sozialphilosophie, die grundsätzlich kontingenzoffen zu fassen sei, aber immer wieder in eine Schließung umschlage, die sie selbst zu vermeiden anmahne. Diese oft vorgebrachten negativen Implikationen des Historischen Materialismus ließen sich aber von Marx’ Denken ablösen – „eine Ablösung, die Marx in seinem Spätwerk selbst vollzogen hat“ (187). Über eine lange Phase der streng wissenschaftlichen Arbeit im Londoner Exil habe Marx so die Grundlage für seine Analyse und Kritik der politischen Ökonomie geschaffen, die schließlich seinen historischen Materialismus vollends überwinde. Lindners auf diesem Wege „der Komplexität des marxschen Werkes angemessene philosophische Deutung“ (387) ermöglicht schließlich einen produktiven Anschluss an eine plurale kritische Sozialtheorie, indem sie die deterministischen Tendenzen in Marx' Werk aufzeigt und mit ihm selbst entkräftet. Somit kann Lindner zeigen, wie plausibel und fruchtbar eine Auseinandersetzung im Anschluss an Marx geführt werden kann.
Alexander Struwe (AST)
B. A., Politikwissenschaftler, Student, Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Rubrizierung: 5.33 | 5.42 Empfohlene Zitierweise: Alexander Struwe, Rezension zu: Urs Lindner: Marx und die Philosophie. Stuttgart: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36105-marx-und-die-philosophie_33231, veröffentlicht am 22.08.2013. Buch-Nr.: 33231 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken