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Karl-Eckhard Carius / Viriato Soromenho-Marques (Hrsg.)

Mauern der Freiheit. Lissabons vergessene Bilder und der Aufschrei heute

Münster: Westfälisches Dampfboot 2014; 172 S.; 24,90 €; ISBN 978-3-89691-957-1
Der mit beeindruckenden dokumentarischen Bildern (fast alle von Karl‑Eckhard Carius zwischen 1984 und 1992 in Lissabon aufgenommen) reich ausgestattete Band, dessen „Wurzeln [...] vier Jahrzehnte weit zurück in die Straßen Portugals“ (9) reichen, stellt am Beispiel der portugiesischen Nelkenrevolution vom 25. April 1974 ein Problem in den Mittelpunkt, über das zu reflektieren sich heute in ganz Europa lohnt: Wie steht es angesichts zunehmender Postdemokratisierung und Renationalisierung um unser Verhältnis zur Demokratie? In Zeiten, in denen wir diese – und zumindest für die Portugiesen war sie das offensichtlich einmal – Idee einer besseren, gerechteren und auch vor allem freien Form des Zusammenlebens aufgegeben zu haben scheinen, ist das eine lohnenswerte, eine wichtige Frage. Beantwortet wird sie – zumindest in Teilen, dafür aber kreativ und bunt – durch die abgebildeten zahlreichen zeitgenössischen Graffitis und Wandmalereien aus dem öffentlichen Raum, die heute zu großen Teilen nicht mehr zugänglich sind, sei es, weil sie von Werbeplakaten überdeckt oder einfach übermalt wurden. Aus etwas recht Profanem wird so ein Ort des öffentlichen Diskurses, des Austausches, der Zusammenkunft: „Die Mauern Lissabons stehen für die Mauern Europas und der Welt, auf denen die gegenwärtigen Ängste in Farben malerisch umgesetzt werden. Sie sind auch die Symbole für Mut und Hoffnung. Gerechtigkeit und Freiheit sind immer kollektive Abenteuer.“ (10) Wie es sich gegenwärtig mit diesem Abenteuer – man könnte noch ergänzen: des Demokratisch‑Politischen – in Europa insgesamt verhält, kann dann in den zahlreichen, mal längeren und mal kürzeren Artikeln und Interviews nachlesen. Ob das „Europa der Finanzmärkte [...] die Hoffnungen der Nelkenrevolution endgültig betrogen“ (141) hat, wie Sahra Wagenknecht es formuliert, die zudem nach dem Tode der portugiesischen Diktatur heute eine ebensolche in Form der Troika (EU, EZB und IWF) am Werke sieht, ist dabei ein, wenn auch sehr zugespitzter, Weg der Deutung. Carius selbst schreibt von einem „Dienst an der Zukunft“, der bald, sehr bald zu leisten sei: „Es ist Zeit, wenn über dem Tejo die Sonne aufgeht. Und ich habe die noch nicht gemalten Bilder vor Augen und höre die Straßen lauter und lauter werden.“ (34) Dass diese so vage beschriebenen Töne wohl kaum von einer demokratisch‑kommunistischen Zukunft künden, ist doch wohl genauso klar, wie die Tatsache, dass es sich um einen – und jetzt ganz ohne Ironie – ästhetisch wie inhaltlich überaus anspruchsvoll und mit Freude zu durchblätternden und zu lesenden Band handelt.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.612.252.23 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Karl-Eckhard Carius / Viriato Soromenho-Marques (Hrsg.): Mauern der Freiheit. Münster: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37415-mauern-der-freiheit_45861, veröffentlicht am 14.08.2014. Buch-Nr.: 45861 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken