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Herbert Graf

Mein Leben. Mein Chef Ulbricht. Meine Sicht der Dinge. Erinnerungen

Berlin: edition ost 2008; 542 S.; geb., 19,90 €; ISBN 978-3-360-01097-1
Graf schildert den Aufbau der DDR im Spannungsfeld sowjetischer und westlicher Interessen anhand ausgiebiger Archivstudien und eigener Erinnerungen – er hat 17 Jahre mit Walter Ulbricht zusammengearbeitet. Der Anlass für die reportageartigen und oft regelrecht melancholischen Schilderungen ist dabei weniger rein historischer denn vielmehr politischer Natur. Graf führt aus: „Geschichte vollziehe sich in der Pendelbewegung langer kräftiger Wellen“ und fragt: „Wäre es für die Enkel nicht von Nutzen, wenn sie [...] als Lehre für die Zukunft gut Bescheid wüssten über das Wollen und das Können, über Ursachen von Erfolgen und Niederlagen des Sozialismus in Deutschland?“ (8) Er gibt den Sozialismus also noch nicht verloren und klagt „die Fokusverkümmerung der bürgerlichen Zeitgeschichtsschreibung“ (9), ja, das „Dogma der Diktaturaufarbeitung“ (23) an. Dabei mutet es freilich seltsam an, wenn der Autor zum Beweis der Verlogenheit eben jener Geschichtsschreibung gerade deren konservative Vertreter zitiert, um mit Recht zu belegen, welches Unrecht an der Wirtschaft der DDR u. a. durch die Treuhand begangen wurde. Auch zu aktuellen Fragen des politischen Systems nimmt Graf Stellung. Er verurteilt „die bürgerlich-parlamentarische Demokratie [...] als eine Zweiklassen-Demokratie, in der zwar der Wirtschaftslobbyist seinen Platz hat, aber der angeblich mündige Wähler ausgeschlossen bleibt“ (420). Dabei hält er eine Alternative parat: „Die sozialistische Demokratie erstreckte sich [...] nicht allein auf den staatlich-politischen Bereich. Sie erfasste auch die Sphäre der Wirtschaft sowie das soziale und kulturelle Leben“ (423). Der Autor problematisiert auch den Führungsanspruch der Partei in der sozialistischen Demokratie, relativiert diese Ausführungen jedoch, denn auch „dem politischen System [...] der Bundesrepublik Deutschland sind [...] letztinstanzliche Entscheidungsgremien eigen“ (427).
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Herbert Graf: Mein Leben. Mein Chef Ulbricht. Meine Sicht der Dinge. Berlin: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/29885-mein-leben-mein-chef-ulbricht-meine-sicht-der-dinge_35406, veröffentlicht am 16.12.2008. Buch-Nr.: 35406 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken