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Roland Willner

Neu im Parlament. Parlamentarische Einstiegspraktiken am Beispiel der Hamburgischen Bürgerschaft

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2013 (Studien zum Parlamentarismus 24); 341 S.; brosch., 64,- €; ISBN 978-3-8487-1418-6
Diss. Hamburg; Begutachtung: K.‑U. Schnapp, P. Dobner, H. Schöne. – Roland Willner analysiert den Alltag von Parlamentsneulingen in der Hamburgischen Bürgerschaft und zeigt detailreich, wie sie sich innerhalb der etablierten Parlamentskultur Handlungsspielräume erschließen und für sich nutzen. Den theoretischen Bezugsrahmen für die Analyse bildet das „‚mikropolitische Praktikenkonzept‘“ (35). Der Autor hat das erste Jahr nach der Wahl im Februar 2011 in den Blick genommen, da dieser Zeitraum als „zentrale Lern‑ und Anpassungsphase für neue Abgeordnete“ (36) gilt. Mit 40 Prozent lag der Anteil an neuen Parlamentariern besonders hoch. Seine Aussagen basieren unter anderem auf qualitativen Interviews mit zehn neuen Abgeordneten, die er regelmäßig befragt hat. Die Hamburgische Bürgerschaft ist ein Teilzeitparlament, das erst nachmittags tagt, weshalb die Parlamentarier ihre Berufs‑ mit der Mandatstätigkeit kombinieren müssen. Willner gliedert das erste Parlamentsjahr in vier Phasen, die jeweils mit unterschiedlichen Herausforderungen verbunden und durch bestimmte Praktiken geprägt waren. Phase eins erstreckte sich von der Wahl bis zur Einsetzung der Parlamentsausschüsse sieben Wochen später, als die Neuparlamentarier ihre inhaltliche Arbeit aufnahmen. Diese war geprägt durch „Orientierungssuche“ und „Praktiken der Selbstorganisation“ (185), wobei es galt, die eigene Arbeitsfähigkeit herzustellen. In der zweiten Phase wurden die Neulinge zunehmend eigenständig, sie hatten sowohl in der Bürgerschaft viele Aufgaben wahrzunehmen als auch außerhalb des Parlaments ein Netzwerk aufzubauen. Der Autor betont die Bedeutung der „Inititationspraktik“, die sich hier auf die Fraktionsgeschlossenheit bezieht. Letztere ist eine im Hinblick auf die Integration neuer Abgeordneter „existenziell wichtige Norm“ (223). Die für die dritte Phase – sie startete nach der Sommerpause und war mit der Verabschiedung des Doppelhaushalts 2011/12 im November beendet – herausgestellten Praktiken waren stark „auf Individualisierung und Konkurrenz ausgelegt“ (258), das Einbringen von eigenen Themen in Fraktionsarbeitskreisen, das „Agenda‑Setting“ (248), gewann an Wichtigkeit. Als hilfreich erwies sich dabei eine Rolle als Sprecher, sie eröffnete die Möglichkeit, „die politische Linie der Fraktion fest[zulegen]“ (258). „[W]eniger das gemeinsame Projekt der Fraktion als die eigene Profilierung“ (293) standen im Vordergrund der vierten und letzten Phase. Die thematische Abgrenzung zu Kollegen und die Konzentration auf ein Hauptthema sind die zwei Praktiken, die für die inhaltliche Positionierung innerhalb der parlamentarischen Einstiegspraxis zentral sind, so ein Ergebnis der Untersuchung. Eine Diskussion über eine Professionalisierung der Bürgerschaft hält Willner für geboten und die Konstruktion als Teilzeitparlament für einen Mythos. Der „‚Spagat‘“ zwischen Beruf und Mandat bedeutet eine „permanente Überforderung‘“ (315).
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Rubrizierung: 2.325 Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Roland Willner: Neu im Parlament. Baden-Baden: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39271-neu-im-parlament_46708, veröffentlicht am 21.01.2016. Buch-Nr.: 46708 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken