Neue Prekarität. Die Folgen aktivierender Arbeitsmarktpolitik – europäische Länder im Vergleich
Es waren in erster Linie französische Sozialwissenschaftler wie Pierre Bourdieu, Robert Castel, Luc Boltanski und Eve Chiapello, die den Begriff der Prekarität in die Debatte über soziale Ungleichheit eingeführt haben. Formelhaft ist damit das neue Gesicht der sozialen Frage bezeichnet, also eine gesellschaftsstrukturell erzeugte Lage, in der Unsicherheiten in Fragen von Beschäftigung, sozialer Sicherheit und Lebensplanung für Lohnabhängige zum Dauerzustand geworden sind. Verantwortlich dafür sind tiefgreifende Prekarisierungsprozesse, die – wie die Herausgeber unterstreichen – in einem hohen Maße mit den veränderten Arbeitsmarktregimen moderner Gesellschaften zusammenhängen. Die in etlichen OECD-Ländern seit etwa den 1990er-Jahren verfolgte aktivierende Arbeitsmarktpolitik beruht im Kern auf einer Strategie, die Arbeitssuchende unmittelbar den Anforderungen des aktuellen Arbeitsmarktes unterwirft. Mit dieser Umstellung werden institutionelle Schutzzonen gegenüber Marktzwängen – also Rechtsansprüche auf soziale Absicherung und Qualifizierung – abgebaut oder stark eingeschränkt. Erfolge dieser Arbeitsmarktpolitik in Gestalt steigender Beschäftigungszahlen sind – wie sich am deutschen Beispiel gut zeigen lässt – mit einer massiven Ausdehnung des Niedriglohnsektors, der Zunahme von atypischer Beschäftigung und des Problems der working poor verbunden. In den Beiträgen des Sammelbandes – entstanden mit Unterstützung des Sonderforschungsbereichs 580 „Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“ an der Universität Jena – wird die Verschränkung von aktivierender Arbeitsmarktpolitik und Prekarisierung im gesellschaftlichen Kontext von fünf europäischen Ländern diskutiert: Deutschland, Österreich, Schweiz, Großbritannien und Polen. Der die aktuelle Debatte gut abbildende Band enthält zunächst separate Länderporträts sowie eine vergleichende Darstellung länderübergreifender Trends; im zweiten Teil werden spezifische Folgen von Prekarisierung und aktivierender Arbeitsmarktpolitik qualitativ untersucht.