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Matthias Mader: Öffentliche Meinung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Zwischen Antimilitarismus und transatlantischer Orientierung

17.09.2017
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Autorenprofil
Sven Morgen, M. A.
Wiesbaden, Springer VS 2016

Die Diskrepanz zwischen den außen- und sicherheitspolitischen Einstellungen der politischen Elite und der breiten Bevölkerung bezüglich der Auslandseinsätze der Bundeswehr stellt seit den ersten Auslandseinsätzen in den 1990er-Jahren ein virulentes Thema von fundamentaler Bedeutung dar. Das politische Handeln und die Wünsche beziehungsweise Einstellungen der Bevölkerung scheinen vielleicht in keinem anderen Politikfeld so weit auseinanderzudriften, wie bei der Problematik der Einsätze der Bundeswehr im Ausland. Umso mehr verwundert es, dass bislang noch keine Studie erstellt wurde, die die Bevölkerungseinstellungen zu verschiedenen Einsätzen miteinander vergleicht, analysiert und zueinander in Beziehung setzt. Matthias Mader legt nun eine solche vor und fragt, „ob und wie sich die Erklärungsfaktoren der Unterstützung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr in den letzten 25 Jahren verändert haben“ (16).

Ins Zentrum seiner Untersuchung stellt er die Frage, ob die öffentliche Meinung gegenüber einem Auslandseinsatz der Bundeswehr eher antimilitaristischen oder eher multilateralen beziehungsweise atlantizistischen Einstellungen folgt. Damit erfasst Mader den Kern der Auseinandersetzung zwischen den politischen Eliten und der Gesellschaft um die Ausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands.

Die politischen Eliten verfolgen teils aus extrinsischer, teils aus intrinsischer Motivation eine stärker am Multilateralismus und an der transatlantischen Partnerschaft orientierte Außen- und Sicherheitspolitik. Dies hat zur Folge, dass sich die Bundeswehr seit der Wiedervereinigung an Auslandseinsätzen in diversen Regionen der Welt beteiligt hat, die an Umfang und Intensität sukzessive zugenommen haben. Demgegenüber steht ein traditionell antimilitaristisches Denken in der Bevölkerung, das sich aus den Erfahrungen des Kalten Krieges und der Sehnsucht nach einer Friedensdividende speist und militärischen Kampfeinsätzen sehr kritisch gegenübersteht.

Wenn sich diese beiden Positionen nicht einander annähern, werden die Auslandseinsätze weiterhin an mangelnder Legitimation leiden und so die Optionen der deutschen Außenpolitik einschränken.

Mader untersucht die Einsätze der Bundeswehr in Somalia (1993), im Kosovo (1999) und in Afghanistan (2001) sowie den Nicht-Einsatz im Irak (2002/3). Dafür entwickelt er ein theoretisches Analysemodell, das außen- und sicherheitspolitische Grundhaltungen als entscheidende Quelle von Überlegungen identifiziert und auf deren Grundlage die Bevölkerung in der Bundesrepublik ihre Einstellungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr bildet.

Diese Grundhaltungen spiegeln die allgemeinen Präferenzen darüber wider, welchen generellen Prinzipien politische Entscheidungen in einem gegebenen Politikbereich folgen sollten. Dass Grundhaltungen bei Mader eine bedeutende Rolle bei der Einstellungsbildung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr spielen, liegt im geringen kognitiven Aufwand und der Voraussetzungslosigkeit ihrer Verwendung bei der Einstellungsbildung (34 f.). Grundhaltungen stellen somit einen relativ leicht zu erfassenden und wissenschaftlich zugänglichen Faktor dar. Mader geht davon aus, dass die „Grundhaltungen zu Antimilitarismus und Atlantizismus bei den meisten Deutschen eine hohe chronische Aktivierbarkeit aufweisen und große Bedeutung für die Einstellungsbildung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ (38) haben.

Die große Herausforderung, vor der sowohl Mader als auch alle anderen Wissenschaftler*innen stehen, die sich mit dem Vergleich von unterschiedlichen Umfragen befassen, ist der Umstand, dass sich die über den langen Zeitverlauf erhobenen Umfragen in Konzeption und Durchführung teils erheblich unterscheiden, was wiederum die Vergleichbarkeit überaus erschwert. Mader geht diese Herausforderung und die damit verbundenen Komplikationen und Einschränkungen für seine Arbeit durchweg offen an und schafft es so, die Ergebnisse untereinander vergleichbar und nachvollziehbar zu präsentieren und zu diskutieren. Der Mehrwert der Arbeit ergibt sich insbesondere aus der vergleichenden Zusammenführung verschiedenster Umfragen sowie Messinstrumente und stellt somit einen genuinen Mehrwert für den breiteren Diskurs zum Thema dar.

Die primäre Erkenntnis der Studie ist, dass sich die grundlegenden Axiome von Maders Modell bewährt haben und Antimilitarismus sowie Atlantizismus in allen vier analysierten Fällen wichtige Erklärungsfaktoren der Bevölkerungseinstellungen darstellen. Die Prinzipien, die als zentrale Handlungsmaximen der Eliten identifiziert werden können, sind also auch in der deutschen Bevölkerung wichtige Beurteilungskriterien der Auslandseinsätze. Die politische Elite und die Bevölkerung bewegen sich demnach im selben Diskurs und reden über dieselben Dinge. Interessant ist nun, welche Grundhaltungen für die Einstellungsbildung der Bevölkerung bezüglich einzelner Auslandseinsätze der Bundeswehr entscheidend sind und warum.

Maders Befunde deuten zunächst ganz allgemein auf eine Entwicklung in der Einstellungsbildung hin: Anfang der 1990er-Jahre waren transatlantische Erwägungen die wichtigere Grundhaltung und wurden in der Bevölkerung im Zeitverlauf zunehmend unwichtiger. Aktuell dominieren antimilitaristische Erwägungen die Einstellung der Bevölkerung und erklären somit die ablehnende Bewertung gegenüber Kampfeinsätzen der Bundeswehr.

Diese Dominanz der antimilitaristischen Einstellungen ist jedoch nicht natürlich gegeben und kann sich bei jeder Bewertung neuer Einsätze ändern. Entscheidend für die Bewertung der Bevölkerung einzelner Auslandseinsätze ist Mader zufolge unter anderem die Struktur des jeweiligen (Medien-)Diskurses und das „Informationsumfeld“. Denn „je mehr Informationen zu einem Prinzip verfügbar waren, desto wichtiger war die korrespondierende Grundhaltung für die Einstellungsbildung“[. ...] „Wenn über die traditionelle deutsche Zurückhaltung beim Einsatz militärischer Mittel diskutiert wurde, berücksichtigten die Bürger ihre Haltungen zum Antimilitarismus besonders stark. Analog konnte auch für die Haltung zum Atlantizismus gezeigt werden, dass sie einen stärkeren Einfluss hatte, wenn der multilateralistische Aspekt im öffentlichen Diskurs besonders deutlich zutage trat.“ (194)

Mader arbeitet mit seiner Studie ebenso heraus, dass multilaterale Erwägungen und Einstellungen dann gegenüber antimilitaristischen Einstellungen in den „Hintergrund traten, wenn die Anwendung militärischer Gewalt entweder explizit geplant (wie im Kosovo- und Irak-Krieg) oder sehr wahrscheinlich war (wie im Afghanistan-Einsatz)“ (195).

Wenn es um Auslandseinsätze der Bundeswehr geht, ist es oft sehr wahrscheinlich, dass die Anwendung militärischer Gewalt Teil des Auftrages beziehungsweise des Einsatzspektrums ist. Insofern ist es nach Mader für die politischen Eliten schwer, mit Informationen und Argumenten, die die multilateralistischen Einstellungen stützen, Zustimmungen für solche Einsätze zu gewinnen.

Im Diskurs die militärische Komponente auszublenden, kleinzureden oder aus dem Mandat weitgehend auszuschließen (wie im Afghanistaneinsatz lange Zeit geschehen), um die Zustimmungsraten über das atlantizistische Argument hochzuhalten, ist hingegen keine Option. Denn dies geht einerseits zu Lasten der Bundeswehr, die sich durch restriktive Mandate nicht adäquat ausgestattet in Einsätzen wiederfindet und so die ihr gestellten Aufgaben nicht erfüllen kann. Andererseits rufen deutsche Beteiligungen, die die harten und blutigen Aufgaben den anderen Verbündeten überlassen, auch den Unmut und die Kritik der Partner hervor, was wiederum das atlantizistische beziehungsweise multilateralistische Argument schwächt und damit mittelbar die (verbliebene) Zustimmung der Bevölkerung zum Einsatz schwinden lässt. Hieraus ergibt sich für die politischen Eliten ein Dilemma, welches, wie Mader zeigt, bereits seit Beginn der Auslandseinsätze vor rund 25 Jahren besteht.

Wie mit diesem Dilemma aktuell umgegangen wird, wird anhand der Ausgestaltung und Durchführung jüngster Einsätze (Beteiligung am Kampf gegen den IS) und Nicht-Einsätze (zum Beispiel Libyen 2011) deutlich: Ein ausdrücklich responsives Verhalten der politischen Eliten gegenüber den eher antimilitaristischen Einstellungen der Bevölkerung ist erkennbar, indem beispielsweise bei der Mandatierung der Einsätze stark darauf geachtet wird, die kämpferische Komponente möglichst gering zu halten oder gleich auszuschließen, um nicht antimilitaristische Einstellungen bei der Bevölkerung zu triggern und so ablehnende Haltungen zu provozieren. Ist bereits vor Beginn des Einsatzes klar, dass es zur Anwendung militärischer Gewalt kommen wird, verzichtet Deutschland im Extremfall auch auf eine Beteiligung (wie etwa in Libyen).

Solch ein Handeln Deutschlands ist nur möglich, solange die Einsätze eine antimilitaristische Ausgestaltung ermöglichen und die Bündnispartner diese akzeptieren und keine öffentliche Kritik üben. Ist militärisches Handeln unumgänglich oder wird von den Bündnispartnern eingefordert, müssen die politischen Eliten von ihrem responsiven Handeln abrücken und mit Zustimmungsverlusten rechnen.

Das grundlegende Dilemma der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik wird damit aktuell nur umgangen und nicht langfristig gelöst. Angesichts der noch immer bestehenden Diskrepanz zwischen den (im Hinblick auf die Präsidentschaft Donald Trumps muss man fast sagen: noch) atlantizistischen beziehungsweise multilateralen Einstellungen der politischen Elite und den mehrheitlich antimilitaristischen Einstellungen der Bevölkerung ist es fraglich, wie Deutschland das Mehr an Verantwortung – wie 2014 von Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen gefordert – schultern soll.

Grundsätzlich kann das oben beschriebene Dilemma nur auf zwei Weisen gelöst werden: Entweder findet eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik und eine Neuorientierung der politischen Eliten hin zu mehr Antimilitarismus statt oder es gelingt, in der Bevölkerung mehr Akzeptanz und Bewusstsein für die Notwendigkeit von Gewalt in Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu erzielen.

Beide Varianten scheinen aktuell unwahrscheinlich, da innerhalb der politischen Elite beispielsweise nur die Partei Die Linke und teilweise die AfD alternative Außenpolitikkonzeptionen anbieten. Gleichzeitig wird innerhalb des medialen und politischen Diskurses Außen- und Sicherheitspolitik lediglich nachrangig und sehr oberflächlich diskutiert, sodass ein Einstellungswandel der breiten Bevölkerung hin zu mehr Akzeptanz atlantizistischer beziehungsweise multilateraler Argumente sehr unwahrscheinlich wird.

 

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