Skip to main content
Elisabeth Noelle-Neumann

Öffentliche Meinung. Die Entdeckung der Schweigespirale

Berlin: Ullstein 1996; XIX, 432 S.; 4., erw. Aufl.; 58,- DM; ISBN 3-550-06934-0
Die Erweiterung gegenüber der letzten Ausgabe beschränkt sich auf das Kapitel XXVIII, das bereits in der zweiten amerikanischen Ausgabe dieses Bandes (1993) sowie 1992 in einer ersten Version in "Publizistik" (37. Jg., 283-296) erschienen ist, ebenfalls unter dem Titel "Manifeste und latente Funktion der öffentlichen Meinung". Unter der manifesten Funktion ist demnach die bewußte und beabsichtigte Funktion zu verstehen: "Öffentliche Meinung als Rationalität mit Funktionen für Meinungsbildung und Entscheidung in der Demokratie" (323), als Kontrolle der Regierung durch gut informierte, kritische Bürger. Die latente Funktion erfolgt dagegen unbewußt und unbeabsichtigt. In diesem Sinne bedeutet Öffentlichkeit die "soziale Kontrolle mit der Funktion der Integration der Gesellschaft und Sicherung eines für Handeln und Entscheiden ausreichenden Grades von Konsens" (324). Nach Ansicht der Autorin ist das sozialpsychologische Konzept der latenten Funktion von öffentlicher Meinung realistischer. Während die meisten Autoren mit dem rationalen (manifesten) Konzept der öffentlichen Meinung annehmen, daß alle Bürger an der Diskussion teilnehmen können, aber nur "ein kleiner, informierter, engagierter Teil der Bürger sich wirklich beteiligt" (333), sind beim Konzept der öffentlichen Meinung als soziale Kontrolle alle Mitglieder der Gesellschaft betroffen. Die gewaltige Macht der öffentlichen Meinung als soziale Kontrolle entsteht "aus der Isolationsfurcht, die aus der sozialen Natur des Individuums erwächst" (336). Im politischen Kampf kommt es folglich nicht auf die Qualität der Argumente an, sondern darauf, "welches von zwei Lagern in einer Kontroverse stark genug ist, um das gegnerische Lager mit Isolation, mit Ächtung, mit Ausschluß zu bedrohen [...] - jeder möchte auf der Seite des Siegers stehen" (334). Dies hat sich z. B. beim "Last Minute Swing" vor den Bundestagswahlen 1965 und 1972 gezeigt. Letztlich schließen sich die beiden Konzepte nicht aus. Die rationale öffentliche Meinung kann als Teil des Gesamtprozesses angesehen werden, sie reißt jedoch die Bevölkerung oft nicht gefühlsmäßig mit. Erst "die von der Bevölkerung auch gefühlsmäßig gebilligte öffentliche Meinung in kontroversen Fragen kann als öffentliche Meinung die latente Funktion, die Gesellschaft zusammenzuhalten, erfüllen" (340).
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.22 | 1.2 | 2.333 Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Elisabeth Noelle-Neumann: Öffentliche Meinung. Berlin: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/1568-oeffentliche-meinung_1784, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 1784 Rezension drucken