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Gerhard Wegner

Ökonomischer Liberalismus als politische Theorie. Befund, Kritik, Rekonstruktion

Tübingen: Mohr Siebeck 2012 (Untersuchungen zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik 62); 292 S.; brosch., 59,- €; ISBN 978-3-16-151034-2
Angesichts der gegenwärtigen politiktheoretischen Debatte über die mit den Namen von Colin Crouch oder Jacques Rancière verbundenen Diagnose der Postdemokratie kommt der hegemonial gewordenen Position des Neoliberalismus eine herausgehobene Stellung innerhalb des Diskursgefüges des Politischen zu. Er ist einerseits Gegenstand der Kritik wie auch Ursache für den Befund von Postdemokratie. Wegner liefert mit seinem Buch für diese Debatte insofern einen überaus wertvollen Beitrag, als dass er den gar nicht so genau zu fassenden Begriff des Neoliberalismus von seinen Wurzeln bei Hayek und Friedman her kommend zunächst bis in die Gegenwart hinein mit Blick auf seine politischen Implikationen rekonstruiert. Denn es geht hier mitnichten bloß um Wirtschaft, sondern „um eine umfassende Gesellschaftskritik und die Begründung eines neuen gesellschaftspolitischen Leitbildes" (6 f.). Diese neue Normativität der Staatszurückhaltung sieht sich, im Unterschied zur klassischen Liberalismusvariante, auf der politischen Bühne mit einer apolitischen Aufgabe konfrontiert: nämlich der Suche nach Begründungen für die Reduktion demokratischer Staatstätigkeit. Demgegenüber bemüht sich Wegner aber aufzuzeigen, dass eine deliberativ ausgestaltete demokratische Ordnung einen radikalen, zügellosen Liberalismus auf Basis der Interessen des Einzelnen nicht zulassen wird. Hier eröffnet sich der spannende, auch für die Postdemokratiedebatte relevante Kern des Buches. Indem Wegner erläutert, dass Wohlstand und (politisch qualifizierte) Freiheit einander nicht ausschließen müssen, sondern sich in der Demokratie legitimerweise symbiotisch ergeben können, plädiert er für eine Verzahnung von ökonomischem Liberalismus und Demokratie sozusagen mit Augenmaß: „Der Leviathan der Demokratie hat sich nicht gegen die Interessen der Bürger verschworen, indem er ihnen Eigentumsrechte vorenthält; er bildet vielmehr das Resultat kollektiver Interessenverfolgung, so wie empirische Bürger in Demokratien ihre Interessen aktuell erkennen." (245) Insofern bestehe – angesichts einer funktionierenden Demokratie – in der Tat Hoffnung auf eine Einhegung neoliberaler Metaphern und Deutungsmuster. Die politische Alternative, falls dies nicht gelingt, hat bei Wegner ebenfalls einen Namen: Autoritarismus.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.43 | 5.45 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Gerhard Wegner: Ökonomischer Liberalismus als politische Theorie. Tübingen: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34894-oekonomischer-liberalismus-als-politische-theorie_41946, veröffentlicht am 12.04.2012. Buch-Nr.: 41946 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken