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Heiner Geißler

Ou Topos. Suche nach dem Ort, den es geben müsste

Köln: Kiepenheuer & Witsch 2009; 215 S.; 18,95 €; ISBN 978-3-462-03683-1
Heiner Geißler, 1930 in Baden-Württemberg geboren, aufgewachsen in einem katholisch geprägten Milieu, das sich dem Nationalsozialismus nicht andiente, hat die Geschicke der CDU in den 70er- und 80er-Jahren erkennbar geprägt. Aber obschon er 13 Jahre als Minister zunächst auf Landes-, dann auf Bundesebene und über 12 Jahre als Generalsekretär tätig war, wird man ihn schwerlich als typischen Vertreter der CDU bezeichnen können. Gemessen an Standards der Parteiräson hat Geißler, der sich als junger Mann den Jesuiten anschloss, seine politischen Auffassungen zu eigenständig vertreten. Dieses Buch – eine Mischung aus autobiografischen und politischen Reflexionen – belegt diese Unabhängigkeit im Denken auf überzeugende Weise. Geißler wendet sich vehement gegen die zunehmende Ökonomisierung der Gesellschaft – die Agenda 2010 mit ihrem Kernelement „Hartz IV“ ist für ihn ebenso menschenverachtend wie der Mainstream des Neoliberalismus, der den Staat letztlich auf Polizeifunktionen beschränken will. Ausgehend von der katholischen Soziallehre tritt er für die weltweite Durchsetzung der individuellen und sozialen Menschenrechte und hier besonders für die Bekämpfung der Frauendiskriminierung ein. Gegen ein jenseits aller Verantwortlichkeiten operierenden Kapitalismus argumentiert er für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft im internationalen Maßstab, die durch eine strikte Regulierung der Finanzmärkte (einschließlich steuerlicher Abschöpfungen von Spekulationsgewinnen) zur Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele beitragen soll. Weitreichende Programme dieser Art können nur jenen utopisch erscheinen – so sollten wir Geißler verstehen –, die ihren ethischen Kompass verloren haben. An dessen Stelle nämlich treten dann „vom Frühstücksfernsehen bis zu den Abendmeldungen die Nachrichten über Dax, Dow Jones und Nikkei-Index. Die Führer und Bürger der westlichen Demokratien tanzen um das Goldene Kalb und haben die Gesetzestafeln zertrümmert.“ (111)
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.3 | 2.35 | 4.1 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Heiner Geißler: Ou Topos. Köln: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/31131-ou-topos_37022, veröffentlicht am 13.10.2009. Buch-Nr.: 37022 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken