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Gerhard Lehmbruch

Parteienwettbewerb im Bundesstaat. Regelsysteme und Spannungslagen im Institutionengefüge der Bundesrepublik Deutschland

Opladen: Westdeutscher Verlag 1998; 210 S.; 2., erw. Aufl.; kart., 42,- DM; ISBN 3-531-13126-5
Für diese Auflage wurden einige Kapitel ergänzt, andere sind dafür ganz weggefallen. Wie in der ersten Auflage von 1976 stehen Funktionsprobleme zwischen Parteien- und Föderalsystem im Mittelpunkt. Bekanntestes Symptom sind die Handlungsblockaden zwischen Bundestag und Bundesrat, die auftreten, wenn jeweils unterschiedliche Parteien die Mehrheit innehaben. Lehmbruch betrachtet diesen Konflikt aus entwicklungsgeschichtlicher Perspektive. Für das deutsche politische System stellt er fest, daß sich der Konfliktmodus in den verschiedenen politischen Arenen seit dem Zweiten Weltkrieg gegenläufig entwickelt hat ("partielle Diskontinuität" [19]): Während in der Arena des Parteiensystems das Modell der Konkurrenzdemokratie dominiere, sei der Bundesstaat immer noch von den hergebrachten Regeln des Verhandlungsmodus geprägt. Diese Zuordnung wird in den Kapiteln 2 und 3 ausgearbeitet, gefolgt von einer generellen Problemanalyse des deutschen Föderalismus in Kapitel 4. In den folgenden Kapiteln wendet sich der Autor wieder konkret der strukturellen Inkongruenz zwischen Parteiensystem und Bundesstaat zu. Zunächst wird die Geschichte des Konflikts zwischen Bundestagsmehrheit und Regierung auf der einen Seite sowie Bundesratsmehrheit und Bundesländern auf der anderen Seite chronologisch analysiert. Schon Adenauer habe die parteipolitische Bedeutung einer ihm gewogenen Bundesratsmehrheit erkannt. In den achtziger Jahren – in denen es auch im Bundesrat eine konservativ-liberale Mehrheit gegeben hat – habe Kohl das koordinierte, parteipolitisch ausgerichtete Handeln perfektioniert. Diese "informelle Koordinierungspraxis" (165) sei von der SPD in den neunziger Jahren erfolgreich weitergeführt worden. Die Regierung habe der wachsenden Bedeutung des SPD-geführten Bundesrates durch die frühe Beteiligung der Opposition an Gesetzesvorhaben der konkurrierenden Gesetzgebung Rechnung getragen. Die erfolgreiche Neuordnung des Länderfinanzausgleichs 1993 sei nur darauf zurückzuführen, daß auf informellen Treffen - wie der Konferenz der Ministerpräsidenten - die Abkopplung des Verhandlungsprozesses von der Parteienkonkurrenz gelungen sei (175). Die Länderchefs hatten ganz einfach Sorge vor unkalkulierbaren Ergebnissen einer durch Parteienkonkurrenz entstandenen, sachlich unbefriedigenden Kompromißlösung. Doch insbesondere 1997/98 habe es zwischen den beiden Regelsystemen Parteiensystem und Bundesstaat immer wieder Verwerfungen gegeben, wie sie an den Rändern zweier sich aufeinander schiebender Kontinentalplatten (12 f.) entstehen. Gibt es eine Chance für institutionelle Reformen, um strukturell bedingte politische Reformstaus zu beheben? Die Möglichkeit institutioneller Reformen betrachtet Lehmbruch im abschließenden Kapitel 6 skeptisch. Dabei hält er die Kritik am institutionellen System wegen des "Reformstaus" gerade in den letzten Jahren für berechtigt. Da sich die verschiedenen Beteiligten allesamt rational verhalten hätten, sei in der Tat mit Fritz Scharpf von einer "Rationalitätsfalle" zu sprechen. Allerdings gibt Lehmbruch auch zu bedenken, daß die koalitionsinterne Kompromißfähigkeit in der Regierung Kohl entscheidend schwächer war als unter der Regierung Schmidt, u. a. weil Klientelinteressen die Regierungsparteien lähmten und Verhandlungslösungen verhinderten (179). Der entscheidende Grund für Lehmbruchs Skepsis gegenüber institutionellen Reformen ist ironischerweise jedoch, daß sie nicht durchsetzbar wären, "weil solche Reformen wiederum an die Schranken der wechselseitigen Vetomöglichkeiten stoßen" (179). Dies hält ihn jedoch nicht davon ab, abschließend relativ kurz die verschiedenen Reformansätze kommentiert zusammenzufassen. Dabei zeigt sich, daß Lehmbruch nicht beim Bundesstaat, sondern beim Parteienwettbewerb ansetzen würde. Hier befürwortet er Maßnahmen oder Verstärkungen schon bestehender Trends, um Einigungsprozesse von der Parteienkonkurrenz und aus dem informellen Bereich zu lösen. So könnte im Prozeß der Gesetzesvorbereitung die bestehende enge parteipolitische Kopplung durch Beteiligung verschiedener Konfliktparteien gelockert werden, wie es z. B. in Schweden durch ein breitangelegtes Begutachtungsverfahren geschehe. Langfristig sei derartigen Institutionen auch ein rechtlich positiviertes Mandat für ihre Tätigkeit zu geben (196). Inhaltsübersicht: 1. Konkurrenzdemokratie und Verhandlungsdemokratie; 2. Das Parteiensystem auf dem Wege zum bipolaren Wettbewerb; 3. Der Deutsche Bundesstaat als Verhandlungssystem; 4. Unitarisierung und Politikverflechtung; 5. Im Spannungsfeld von Parteienwettbewerb und Föderalismus; 6. Entflechtungsstrategien und ihre Chancen.
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.321 | 2.331 | 2.325 | 2.22 | 2.21 Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Gerhard Lehmbruch: Parteienwettbewerb im Bundesstaat. Opladen: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/5143-parteienwettbewerb-im-bundesstaat_6760, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 6760 Rezension drucken