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Heiko Ulrich Zude

Paternalismus. Fallstudien zur Genese des Begriffs

Freiburg i. Br./München: Verlag Karl Alber 2010 (Angewandte Ethik 5); 262 S.; geb., 36,- €; ISBN 978-3-495-48178-3
Der Autor untersucht an konkreten Debatten die Begriffsgeschichte des Paternalismus in den USA und England vor allem in den vergangenen 150 Jahren. Zude arbeitet im Wesentlichen drei zentrale Entwicklungsperioden heraus. Eine erste Diskussion erfolgte in den frühen 1870er-Jahren in den USA. Das Thema Paternalismus entstand damals aus der Spannung zwischen Individuum und Stadt und ist mithin in der politischen Philosophie angesiedelt. Die zentrale grundsätzliche Frage der Debatten war, „inwieweit staatliche Einflussnahme […] zugelassen werden darf“ (40). In der Folgezeit wurde Paternalismus im Rahmen der politischen Ökonomie diskutiert. Als Theoretiker nennt der Autor hier Richard T. Ely. Dieser argumentiert religiös und ausgehend von der Vaterschaft Gottes, dass die Ablehnung staatlichen Handelns als paternalistisch eigentlich unamerikanisch sei, verstehe man den Staat richtig als „institutionalisierte Kooperation aller Beteiligten“ (61), also der Kinder Gottes. Er überträgt diese Denkweise auf den „Modern Industrial Paternalism“ (65), wenn er den Unternehmern plötzlich zuvor nur auf den Staat bezogenen Paternalismus vorwirft. Über ihre Rechte an privatem Eigentum würden die Reichen staatliche Aufgaben übernehmen, dies widerspreche jedoch der amerikanischen Idee der Selbstverantwortlichkeit. Mit der sogenannten Devlin-Hart-Debatte 1959 in England wurde der Begriff rechtsphilosophisch gewendet. Devlin hatte am Beispiel der aktiven Euthanasie ausgeführt, dass das Recht die moralische Bezugsgröße einer Gesellschaft sei. Hart setzte dagegen, dass mit dieser Argumentation alles von der Gesellschaft als unmoralisch Erachtete unter Strafe gestellt werden könnte. Die einflussreiche Unterscheidung zwischen starkem und schwachem Paternalismus führte der Amerikaner Joel Feinberg schließlich in den 1970er-Jahren ein. Solange die Handlung einer Person unter der Vernunftprämisse als unfreiwillig angesehen werden könne, sei Paternalismus als schwach zu betrachten, beispielsweise wenn sich jemand die eigene Hand abhacken will. Erst im Fall, „in dem per Gesetz das Rauchen verboten würde, wäre dies Paternalismus […] in seiner starken Form“ (193).
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.44 Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Heiko Ulrich Zude: Paternalismus. Freiburg i. Br./München: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/25126-paternalismus_29084, veröffentlicht am 24.11.2010. Buch-Nr.: 29084 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken