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Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Piketty kurz & kritisch. Eine Flugschrift zum Kapitalismus im 21. Jahrhundert

Hamburg: VSA 2015; 93 S.; 9,- €; ISBN 978-3-89965-646-6
Um „die Erfassung und Interpretation von Strukturveränderungen der kapitalistischen Gesellschaften“ (32) geht es laut Joachim Bischoff und Bernhard Müller in der „Piketty‑Debatte“. Aufgrund einer sich stetig vergrößernden Kapital‑ und Einkommensungleichheit, die heute jenes Ausmaß wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreiche, werde einer wichtigen Legitimationsgrundlage moderner Gesellschaften – dem meritokratischen Prinzip – der Boden entzogen. Das Versprechen von sozialem Aufstieg durch Leistung könne nicht mehr gehalten werden, auch weil bisherige Gleichheitsnormen durch die Politik des neoliberalen ‚anything goes‘ demontiert seien. Eine Generation von Erben und Beziehern von Spitzeneinkommen, die kaum mehr an die Leistungsfähigkeit einer Person gebunden sein können, bereiteten den Weg in einen „Patriomonialkapitalismus“ (Paul Krugman). Diese ökonomischen Ungleichheiten bewirkten auch auf politischer Ebene „eine Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der organisierten Vermögensverwaltung“ (59). Bischoff und Müller greifen diese Interpretationen Thomas Pikettys wohlwollend auf, machen jedoch zu Recht auf einige fehlende Analysebestandteile aufmerksam: So beachte Piketty den Rückgang gewerkschaftlicher Bindung und der Verbindlichkeit von Tarifabkommen oder auch den Niedergang der Lohnquote sowie vor allem die politisch verstärkte Deregulierungspolitik zu wenig; denn sein Hauptthema seien eben nicht die Einkommen, sondern die Vermögen. Bischoff und Müller legen nun genau darauf ihr Augenmerk: auf die „Regellosigkeit der Lohnfindung“ (36) sowohl im Finanz‑ als auch im Niedriglohnsektor, die eine „Transformation in oligarchische oder patrimoniale Strukturen“ (36) nach sich ziehe. Es brauche daher nicht nur progressive Vermögenssteuern und Erbschaftssteuern, wie Piketty anrege, sondern ebenso politische Regeln für die Lohnfindung, „eine Stärkung der Tarifautonomie, mehr Mitbestimmung, die Besteuerung hoher Erbschaften und Vermögen, mehr Zeitautonomie, zum Beispiel durch eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit, sowie eine bessere Versorgung mit öffentlichen Gütern“ (83); grundsätzlich „bedarf es außerordentlich starker demokratischer Institutionen, um eine derartige Ungleichheitsdynamik zu regulieren“ (17). Die Autoren nehmen hierfür die gesellschaftlichen Kräfte der Linken in die Pflicht. Da das „Vertrauen in die Institutionen des demokratischen Kapitalismus kaum wiederherstellbar scheint“ (39), bedürfe es neuer Wege der politischen Beteiligung.
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Rubrizierung: 2.25.452.642.3312.3422.222.262 Empfohlene Zitierweise: Tamara Ehs, Rezension zu: Joachim Bischoff / Bernhard Müller: Piketty kurz & kritisch. Hamburg: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38310-piketty-kurz--kritisch_46887, veröffentlicht am 16.04.2015. Buch-Nr.: 46887 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken