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Horst Kahrs (Hrsg.)

Piratenzauber. Über eine Gesellschaft, die Freibeuter hervorbringt

Köln: PapyRossa Verlag 2013; 196 S.; 13,90 €; ISBN 978-3-89438-508-8
Seit Karl Marx ist die politische Linke immer gut darin gewesen, die Gegenwart als zwangsläufige Entwicklung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technologischer Prozesse zu beschreiben. Damit sind auch ihre eigenen Niederlagen und Versäumnisse verarbeitet worden. Insoweit fügt sich der Sammelband über die Piratenpartei, der im Umfeld der Rosa‑Luxemburg‑Stiftung entstanden ist, nahtlos ein. Den Autor_innen geht es weniger darum zu beschreiben, wer die Piraten sind, was sie wollen und wie die Partei funktioniert. Vielmehr versuchen sie, den Kontext zu begreifen, in dem die Piratenpartei den Einzug in vier Landtage geschafft hat. Gerade deswegen ist das Buch lesenswert. Man findet darin eine recht konzise und differenzierte Sicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen der Arbeitswelt. Die Autor_innen verzichten dankenswerterweise darauf, das Narrativ der Piratenpartei zu übernehmen und daraus jetzt eine neue Konfliktlinie im Sinne der Cleavage‑Theorie abzuleiten. Wohl allerdings sind sie größtenteils offen dafür, die Wandlungsprozesse nicht einfach in die langen Linien der historischen Entwicklung zu pressen. In einer Reihe sehr guter Beiträge ist insbesondere der von Horst Kahrs hervorzuheben. Er beschreibt über eine kleinteilige Analyse des Berliner Wahlergebnisses der Piraten die sozialstrukturellen Wandlungen. Schlüssig legt er dar, welches Wählermilieu gegenwärtig ohne wirkliche Anbindung ist und warum dieses den Weg letztlich eben nicht zu den Linken oder den Grünen, sondern temporär zu den Piraten gefunden hat. In Kahrs’ Argumentation blitzt auf, wozu eine gute Analyse fähig ist. Sie schaut sich gesellschaftliche Phänomene an, ordnet sie ein und stellt zugleich bestehende Deutungsmuster in Frage. Freilich existieren in diesem Sammelband auch Gegenstücke dazu, Untersuchungen, die zwar schlüssig und gekonnt deduktive Herleitungen von Bewertungen liefern, aber weniger offen sind für Neues. Georg Fülberths Aufsatz sei in diesem Zusammenhang genannt, weil er die Piratenpartei lediglich als neue Spielart des Neoliberalismus einordnet, die eben durch das zyklische Auftreten von Protestwahlverhalten zutage getreten ist. Doch auch solche Beiträge sind anregend. In Verbindung mit einigen Überlegungen von Vordenkern aus der Piratenpartei sowie den immer wieder vorgenommenen präzisen Darlegungen des Forschungsstands zu den Piraten liefert dieser Band ein sehr gelungenes wie fokussiertes Gesellschaftsporträt.
Stephan Klecha (SKL)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Institut für Demokratieforschung der Universität Göttingen.
Rubrizierung: 2.35 | 2.331 | 2.332 | 5.42 Empfohlene Zitierweise: Stephan Klecha, Rezension zu: Horst Kahrs (Hrsg.): Piratenzauber. Köln: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35896-piratenzauber_43806, veröffentlicht am 27.06.2013. Buch-Nr.: 43806 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken