Skip to main content
Nikolai Wehrs

Protest der Professoren. Der "Bund Freiheit der Wissenschaft" in den 1970er Jahren

Göttingen: Wallstein Verlag 2014 (Geschichte der Gegenwart 9); 539 S.; geb., 44,- €; ISBN 978-3-8353-1400-9
Diss. HU Berlin; Begutachtung: M. Sabrow, P. Nolte, G. Metzler. – Der Universität unserer Tage sieht man ihre Herkunft aus den Debatten der 68er kaum mehr an. Längst hat man sich pragmatisch in bachelorisierten und berufsorientierten Studiengängen eingerichtet und preist den ehedem kritisierten gesellschaftlichen Verwertungszusammenhang von Bildung und Wissen. An ganz andere Zeiten erinnert dieser Rückblick auf den 1970 in Bad Godesberg gegründeten „Bund Freiheit der Wissenschaft“ (BFW), der bislang noch nie so gründlich Gegenstand einer wissenschaftlichen Darstellung gewesen wie nun in der rundum gelungenen Dissertation des Historikers Nikolai Wehrs. Schnell wird deutlich, dass es bei seiner Gründung – als Reaktion auf die Studentenbewegung – keineswegs um die Verteidigung verstaubter professoraler Privilegien oder den Kampf gegen die Auswüchse einer übertriebenen Gleichmacherei ging. Die Auseinandersetzung mit dem BFW ermöglicht nicht nur ein besseres Verständnis für die intellektuelle Polarisierung in den 1970er‑Jahren, sondern macht deutlich, dass es dabei um die Abwehr einer Politisierung von Wissenschaft ging, die mit dem Gebot der Freiheit von Forschung und Lehre nur zu oft in Konflikt geriet – die Forderung nach „gesellschaftlicher Verantwortung“ verwandelte sich nachgerade umstandslos in die Frage nach der „gesellschaftlichen Relevanz“. Es waren gerade liberale und linke Altachtundsechziger, die mit ihrem Abbau des alten Elfenbeinturms die Entakademisierung der Universität betrieben. Und es waren zunächst auch und vor allem linksliberale Professoren, die sich dagegen wehrten. Vieles erinnert an die alte, von Max Weber angestoßene Debatte über die Wertfreiheit der Wissenschaft sowie das problematische Verhältnis von Sozialwissenschaft und Sozialreform und die nicht nur von Helmut Schelsky beklagte Priesterherrschaft der Intellektuellen. Die Arbeit ist in acht Kapitel gegliedert. Nach einer kurzen Schilderung der Hochschulreformdiskussion der Nachkriegszeit geht es in dem für ein Verständnis der mentalen Voraussetzungen der BFW‑Vertreter wohl interessantesten zweiten Kapitel um eine Rekonstruktion des generationellen Konfliktes und der biografischen Erfahrungswelten der BFW‑Professoren. Die institutionellen Voraussetzungen ihres Protestes werden in Kapitel drei und vier beleuchtet, dem inneren Zerfall und die Polarisierung der Universitäten sowie dem sich daraus ergebenden Scheitern der Reform und der Perpetuierung des Konfliktes sind die drei folgenden Kapitel gewidmet. Im letzten Kapitel zieht Wehrs die politisch‑intellektuelle Bilanz der Auseinandersetzungen der 1970er‑Jahre. Wie gesagt: wen die gegenwärtige Situation der deutschen Universität nicht kalt lässt, kommt an der Lektüre dieser bemerkenswerten Dissertation nicht vorbei.
{KAM}
Rubrizierung: 2.313 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Georg Kamphausen, Rezension zu: Nikolai Wehrs: Protest der Professoren. Göttingen: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38207-protest-der-professoren_45803, veröffentlicht am 26.03.2015. Buch-Nr.: 45803 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken