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Cas Mudde: Rechtsaußen. Extreme und radikale Rechte in der heutigen Politik weltweit

02.03.2021
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Autorenprofil
Dr. Sven Leunig
Bonn, J. H. W. Dietz 2020

Aus dem Englischen übersetzt von Anne Emmert

Der niederländische Politikwissenschaftler Cas Mudde, der sein Buch primär an Laien richtet, bietet nach Einschätzung des Rezensenten Sven Leunig einen sehr guten Überblick über das Phänomen der „äußersten Rechten“, unter der Mudde zum einen die (rechtspopulistische) radikale Rechte, zum anderen die demokratiefeindliche extreme Rechte zusammenfasst. Dabei beschränke sich der Autor nicht allein auf rechte Parteien, sondern blicke ebenso auf Organisationen und Bewegungen, letztlich auf alle Personen, die in diesem Umfeld aktiv sind. Dies gelte auch für ihre vielfältigen Äußerungsformen.

Eine Rezension von Sven Leunig

Um es vorweg zu sagen: Diese Monografie von Cas Mudde, Professor für Politikwissenschaft an den Universitäten in Georgia (USA) sowie Oslo, ist weder ein Forschungstext noch auch nur ein wissenschaftliches Werk im engeren Sinne, wie der Verfasser selbst ausführt: Vielmehr richtet es sich „in erster Linie an Laien[, …] denen die Fachliteratur […] zu kompliziert oder einfach zu umfangreich ist“ (17). Das an sich wäre kein Problem. Aber leider ist Mudde offenbar der Ansicht, dass man es diesen Laien kaum zumuten könne, auch noch Fußnoten oder sonstige Quellenangaben lesen zu müssen, weshalb er weitgehend darauf verzichtet. Der Nutzwert für (Politik-)Wissenschaftler ist also insofern eher gering als sie es kaum für weitere Forschung verwenden können.

Ungeachtet dessen bietet das Werk allerdings einen sehr guten, vor allem sehr gut lesbaren Überblick über das Phänomen der „äußersten Rechten“, unter der Mudde zum einen die (rechtspopulistische) radikale Rechte, zum anderen die explizit demokratiefeindliche extreme Rechte zusammenfasst (17-21). Gleichwohl ist der Terminus mit Absicht immer noch sehr umfassend, denn er beschränkt sich keineswegs nur auf rechte Parteien, sondern ebenso auf Organisationen und Bewegungen, letztlich auf alle Personen, die in diesem Umfeld aktiv sind. Dies gilt auch für ihre mannigfachen Äußerungsformen, die – eben – von der Beteiligung an Wahlen über Demonstrationen und das gesamte Spektrum extrem- beziehungsweise radikalrechter Artikulationen in den sozialen Netzwerken reichen (Kapitel 5).

Das Werk setzt sich aus zehn vergleichsweise kurzen Kapiteln zusammen, in denen zunächst die Historie und die Ideologie der äußersten Rechten dargestellt werden (Nativismus, Autoritarismus, Populismus), verbunden mit ihren zentralen Themen der jüngeren Vergangenheit (Zuwanderung, Sicherheit, Korruption). Hier wird allerdings auch eine gewisse Schwäche der Zusammenführung der radikalen wie der extremen Rechten deutlich, wenn Mudde festhält, er wolle sich mit „den wichtigsten Ideologien der radikalen (populistischen) Rechten, Faschismus und Nationalsozialismus“ (40) befassen. Diese explizite Zuordnung faschistischer Ideologien zu populistischen Parteien dürfte denn wohl doch nicht dem Mainstream der Forschung entsprechen.

Im folgenden Abschnitt werden ihre verschiedenen Organisationsformen dargestellt (politische Parteien, soziale Bewegungen, wobei Letzteren ein deutlich größerer Raum gewidmet wird). Kapitel 4 unter der etwas ungewöhnlichen Überschrift „Leute“ befasst sich sowohl mit dem Führungspersonal der äußersten Rechten als auch mit ihren Anhängern und Wählern.

Nach den bereits erwähnten „Betätigungsfeldern“ in Kapitel 5 geht Mudde von der eher strukturellen Ebene zur Ursachen- und Folgenanalyse über (Kapitel 6 und 7). So betont er etwa, dass nur „wenige Wähler der äußersten Rechten […] von wirtschaftlichen Sorgen geleitet [werden], wohingegen viele mit ihrer Wahl kulturell zum Gegenschlag ausholen“ (131). Im Abschnitt über die Wirkung führt er weiter aus, dass es sich bei der „illiberalen Demokratie“, deren Schaffung das Ziel der radikal rechtspopulistischen Parteien sei, letztlich um eine „Ethnokratie“ handele, „also einer nominell demokratischen Ordnung, in deren Struktur die Dominanz einer ethnischen Gruppe verankert ist“ (147).

An diese Ursachen- und Folgendarstellung schließt sich ein Überblick über die verschiedenen – erfolgreichen und weniger erfolgreichen Strategien im Umgang mit den Parteien und Bewegungen der äußersten Rechten an (Kapitel 8). Eine „Universallösung“ habe er in dieser Hinsicht auch nach mehreren Jahrzehnten Forschung nicht gefunden (165).

Etwas außerhalb der Buchstruktur steht, fast in Form eines Exkurses, das Kapitel 9 „Gender“, in dem der Verfasser deutlich macht, dass die Einstellung der äußersten Rechten zum Thema Gleichberechtigung der Geschlechter beziehungsweise zu den verschiedenen Formen der LGBTI weniger eindimensional ist als gemeinhin vermutet wird. So finden sich in diesem Sektor sowohl teilweise unterstützende wie auch heftig ablehnende Positionen, die vor allem vom jeweiligen gesellschaftlich-geografischen Umfeld abhängen (insbesondere Ost- vs. Westeuropa). Mudde beendet seinen Abriss mit 12 Thesen zur sogenannten „vierten Welle“ der extremen und radikalen Rechten, die er mit den 2000er-Jahren beginnen lässt.

Die jeweils allgemein gehaltenen, mit konkreten Beispielen (Orbán, Trump, AfD) versetzten Kapitel werden jeweils durch kurze „Skizzen“ aufgelockert, in denen einzelne Aspekte (etwa die italienische Organisation „Casa Pound“ in Kapitel 3) etwas detaillierter präsentiert werden. Am Ende finden sich nicht nur ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen und eine kurze Chronologie, sondern ebenso – erfreulicherweise – auch ein knapper Abschnitt mit weiterführender Literatur.

 

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