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Gert Krell

Schafft Deutschland sich ab? Ein Essay über Demografie, Intelligenz, Armut und Einwanderung

Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag 2013 (Positionen); 126 S.; 12,80 €; ISBN 978-3-89974908-3
Dass Sarrazins unlängst in weit über zwanzig Auflagen publizierte ‚Thesen’ über genetische Parallelen von Zuchtpferden und in Deutschland lebenden Migranten eine so unglaublich breite Leserschaft gefunden haben, ist sehr erschreckend. Auch wenn diese Leserschaft, wie Gert Krell anmerkt, stark polarisiert zwischen euphorischer Zustimmung und kompletter Ablehnung war, so mindert dies keineswegs die Erschütterung darüber, wie weit man es in diesem Land mit plumpem Populismus immer noch oder auch schon wieder bringen kann. Auch das zusätzliche Maß an Unglaubwürdigkeit des Autors, der als SPD‑Mitglied und Finanzsenator in Berlin mit einem rigiden Sparkurs die Voraussetzungen für seine späteren Polemiken erst geschaffen, deren Ursachen noch weiter verstärkt hat, hat offensichtlich der Breitenwirkung seines Buches keinen Abbruch getan. Krell identifiziert sechs Themenbereiche, die Sarrazin zu einem Ursache‑ und Wirkungszusammenhang verdichtet und die zu einer qualitativen Verschlechterung des Status quo in Deutschland beitrügen. Neben einer schrumpfenden Bevölkerung sind dies insbesondere der – vermeintliche – Zusammenhang zwischen Intelligenz und Vererbung, die mangelnde Integrationsbereitschaft hier lebender Migranten, die sinkende Leistungsbereitschaft wegen zu großzügig bemessener wohlfahrtsstaatlicher Leistungen und ‚dysgenische Effekte’: „die ‚intelligenteren’, bildungsnahen Schichten bekämen immer weniger Kinder, die ‚dümmeren’, bildungsfernen Schichten hingegen nähmen zu“ (11). Dass die behaupteten Zusammenhänge wenn überhaupt dann nur in Teilen zutreffen, führt Krell differenziert vor. Augenfällig ist dabei insbesondere, wie eklektizistisch Sarrazin offenbar mit dem von ihm verwendeten Daten‑ und Quellenmaterial umgegangen sein muss. Die wirklichen Herausforderungen, vor denen die deutsche Gesellschaft stehe, so Krell in seinem Fazit, wie etwa die gegenwärtige Wirtschafts‑ und Finanzkrise, der Klimawandel oder die zunehmende Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen, nehme Sarrazin gar nicht erst in den Blick. Krells kritische Analyse erweist sich somit als ein politisches Plädoyer gegen Angst und Ressentiments und zugunsten einer offenen Diskussion bestehender Probleme: „Dabei wird es mehr auf effektive Rechtsstaatlichkeit, glaubwürdige Demokratie, Achtung vor Mensch und Natur sowie wirtschaftliche Fairness ankommen“ (107) –alles Aspekte, zu denen Sarrazin erstaunlich wenig zu sagen hat.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.3 | 2.342 | 2.343 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Gert Krell: Schafft Deutschland sich ab? Schwalbach/Ts.: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37321-schafft-deutschland-sich-ab_44595, veröffentlicht am 24.07.2014. Buch-Nr.: 44595 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken