Schäuble, der in seiner langen politischen Karriere für so manche knallharte Zuspitzung heftige Kritik einstecken musste, zeigt sich in diesem Buch von einer ungewohnt milden Seite. Kontroverse Aussagen muss man mit der Lupe suchen und von einer maßvollen Globalisierungskritik bis hin zu staatstragenden Bemerkungen zur Außenpolitik finden sich viele kluge Anmerkungen, die nahezu jeder Leser unterschreiben kann. Über allem schweben zwei Maximen, die Schäuble als seine „Grundhaltungen" bezeichnet: der Aufruf, nach Selbsterkenntnis zu streben und die Mahnung, auch in der Politik das rechte Maß zu finden (14). Überraschend deutlich übt Schäuble vor diesem Hintergrund Kritik an den Auswüchsen der freien Marktwirtschaft und der Globalisierung. Er beklagt eine „Entsolidarisierung auf allen Ebenen des Wirtschaftslebens" (33) und räumt ein, dass freie Märkte allein allenfalls eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Schaffung von Wohlstand sind. Die Neunzigerjahre verurteilt er als Jahrzehnt, in dem der Blick für das Maß in der Wirtschaft verloren gegangen sei. Er prangert die ungerechte Verteilung des Wohlstands in der Welt ebenso an wie die Gefährdung der Umwelt durch unsere Wirtschaftsweise. Auch einen Schuldenerlass für die ärmsten Länder hält er für sinnvoll. Auf dem Gebiet der Außenpolitik erlebt der Leser dann aber weniger eindeutige Meinungsäußerungen: Schäuble plädiert klar für eine stabile transatlantische Partnerschaft, wobei er beide Seiten ermahnt, dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Europa müsse ein europäisches Bewusstsein entwickeln und als handlungsfähiger Akteur die transatlantische Allianz stärken. Viel Neues findet sich unterm Strich nicht in dem Buch, aber so manche kluge Analyse und genügend griffige Formulierungen, um die Lektüre zu rechtfertigen. Für die politikwissenschaftliche Forschung ist es aber wohl weder gedacht noch geeignet.