Repräsentation und Parlamentarismus
Christoph Weckenbrock: Schwarz-grüne Koalitionen in Deutschland. Erfahrungswerte aus Kommunen und Ländern und Perspektiven für den Bund
10.04.2017Trotz der zurzeit amtierenden Koalitionen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg und Hessen tragen mediale Gedankenspiele zur Zukunft schwarz-grüner Koalitionen auf Landes- und Bundesebene immer noch in gewissem Maße den Reiz des Neuen in sich. Die zunehmende Fragmentierung der verschiedenen Parteiensysteme im deutschen Mehrebenensystem führt dazu, dass Schwarz-Grün häufig das einzige Zweiparteienbündnis ist, das als Alternative zur großen Koalition aus CDU und SPD rechnerisch über eine parlamentarische Mehrheit verfügt.
Christoph Weckenbrock nimmt sich dieser Koalitionsoption in seiner umfangreichen und detaillierten Dissertation an und untersucht die bisherigen gemeinsamen Erfahrungen schwarz-grüner Akteure in ausgewählten Großstädten, auf Landesebene und, den Umständen geschuldet eher im Bereich des Spekulativen bleibend, bezüglich einer möglichen Bundesregierung nach der Bundestagswahl 2017. Auf der Basis von sieben Kommunal- (Duisburg, Essen, Frankfurt am Main, Kassel, Kiel, Saarbrücken, Wiesbaden) und zwei Landesbeispielen (Hamburg, Saarland) destilliert der Autor mehrere zentrale Faktoren, die für die Bildung schwarz-grüner Koalitionen und eine erfolgreiche Koalitionspraxis entscheidend sind. Schwarz-Grün ist demnach ein Bündnis zweiter Wahl und wird insbesondere dann gebildet, wenn die klassischen Lagerkoalitionen Schwarz-Gelb und Rot-Grün über keine Mehrheit verfügen und sich vor allem die Grünen von der SPD in den Jahren zuvor schlecht behandelt fühlten. Gute persönliche Kontakte zwischen den schwarzen und grünen Akteuren sind dabei sowohl für die Koalitionsbildung als auch für deren erfolgreiches Management von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus zeigt die Studie, dass es vor allem die Grünen sind, die sich in den Koalitionsverhandlungen besonders gut durchsetzen konnten, was bisherige Ergebnisse in der schwarz-grünen Koalitionsforschung untermauert. Die Bedeutung kommunaler Koalitionen zwischen CDU und Bündnis 90/Grünen für die inner- und zwischenparteilichen Diskussionen über schwarz-grüne Landesregierungen und eine potenzielle Bundesregierung ist dabei kaum zu überschätzen, denn die „normative Kraft des Faktischen half dabei, Vorbehalte zwischen Politikern, Mitgliedern und Wählern der so unterschiedlichen Parteien abzubauen“ (879).
Auch wenn systematisch-vergleichende Aussagen zur Bildung der kommunalpolitischen Bündnisse aufgrund der eher schwammigen Fallauswahl (Minderheitskoalitionen werden mit Mehrheitskoalitionen verglichen und die Vergleichbarkeit von Schwarz-Grün und Jamaika-Bündnissen unter Einschluss der FDP erscheint zweifelhaft) nur in begrenztem Maße Aussagekraft besitzen, so besticht die Studie durch eine inhaltliche Tiefe und ein profundes Fallwissen sowohl bei den kommunal- als auch bei den landespolitischen Einzelfallbeispielen. Dies gilt vor allem hinsichtlich der erstmaligen, ausführlichen Untersuchung der Koalitionspraxis schwarz-grüner Bündnisse. Der umfangreiche Korpus an ausgewerteten Zeitungs- und Zeitschriftenartikel zu Schwarz-Grün im Allgemeinen und die hervorragende Ergänzung dieser Informationen durch eine Vielzahl an Interviews mit wichtigen politischen Akteuren im Besonderen machen diese Studie zu einem unverzichtbaren Nachschlagewerk für alle politisch Interessierten innerhalb und außerhalb der Wissenschaft, die sich mit dem deutschen Koalitionssystem und schwarz-grünen Koalitionen befassen.