Skip to main content
Heribert Prantl

Sind wir noch zu retten? Anstiftung zum Widerstand gegen eine gefährliche Politik

München/Wien: Carl Hanser Verlag 1998; 281 S.; geb., 29,80 DM; ISBN 3-446-18541-0
Der Autor ist Jurist, Ressortchef für Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung, Träger des Geschwister-Scholl-Preises 1994. Dieser Band trägt die Züge seiner journalistischen Arbeit. Die Unterkapitel haben Leitartikellänge und sind in gewohnt direkter, engagierter Sprache verfaßt, immer auf der Suche nach anschaulichen Metaphern, um den tristen politischen Inhalten Leben einzuhauchen. So sieht er Kohl "mit einem Bein schon in Walhall" (11), die ursprünglich liberale FDP habe als "Chamaeleon politicus" (30) ihre Seele verloren. Doch auch die Opposition sei nach dem ermutigenden Erfolg bei der Landtagswahl in Niedersachsen noch nicht am Ziel. Die SPD dürfe nicht versuchen, die Politik der Regierungskoalition in den Bereichen Innen- und Rechtspolitik zu kopieren. Sie sollte auch nicht die Politik des designierten Koalitionspartners B 90/Die Grünen unnötig kritisieren. Die Grünen dürften ihrerseits vor lauter Bemühungen um die Regierungsfähigkeit "ihre" Bereiche Umwelt- und Ausländerpolitik nicht vernachlässigen. Im den Kapiteln 2 bis 4 löst sich Prantl von den Parteien und wendet sich den einzelnen Politikbereichen zu. Er verficht dabei zum einen das urliberale Ideal der Freiheit des Einzelnen vom Staat, also die Bewahrung grundrechtlicher Abwehrrechte. Aber er spricht sich auch für einen fürsorgenden Staat aus (Kapitel 2). Es zeige sich eine zunehmende Entsolidarisierung durch den "Abriß" des Sozialstaats, der mit der übertriebenen Sorge um den Standort Deutschland betrieben werde (58). Prantls Forderungen dazu: Befreiung der Sozialkassen von Leistungen, die durch Steuern finanziert werden sollten; Stärkung der Kaufkraft der unteren Einkommensgruppen; keine unnötigen Einschnitte ins soziale Netz. Die Entdemokratisierung (Kapitel 3) zeige sich durch unzumutbare Grundrechtseingriffe in den Bereichen Asylpolitik und Genforschung sowie bei der Betreuung von Behinderten. Insbesondere die Politik der Regierungskoalition stehe auf Konfrontationskurs mit geltendem Verfassungsrecht und mit dem Bundesverfassungsgericht, wie das Kruzifix-Urteil und die "Soldaten sind Mörder"-Entscheidung gezeigt hätten. Die Regierungskoalition zeige ihr unliberales Gesicht ebenso beim Ausländerrecht, dem großen Lauschangriff, der fehlenden Entschädigung für kommunistische Widerstandskämpfer und bei der ungerechtfertigten Überwachung von Scientologen durch den Verfassungsschutz. Durch die Kooperation der EU-Staaten im Bereich der inneren Sicherheit drohten weitere Eingriffe in Bürgerrechte. In Kapitel 4 wird die Kritik an der Ausländerpolitik und am Umgang vieler Politiker und Journalisten mit der Vergangenheit kritisiert, z. B. bei den Debatten um den 8. Mai 1945 oder um die Wehrmachtsausstellung (224-229, diese Ausführung entsprechen Passagen aus einem Text in dem von Prantl herausgegebenen Sammelband "Wehrmachtsverbrechen", 231-233, vgl. ZPol 1/98: 306 f.). Prantl fordert im letzten Kapitel die zu ruhigen, obrigkeitshörigen Deutschen schließlich zum Widerstand auf. Gemeint ist Widerstand in Form eines Sich-Entgegenstellens, dem Kämpfen für Freiheitsrechte mit "Zivilcourage und Bürgermut" (258). Dies kann verschiedenste Formen haben: Schüler, die wie in Bremen absichtlich schlechte Noten schreiben, weil sie verhindern wollen, daß behinderte Mitschüler aus der Klasse genommen werden; oder ein Bischof, der sich der Weisung eines Papstes widersetzt; oder der Widerstand gegen Asylgesetzverschärfungen und Castor-Transporte. Prantl nennt eine Reihe von Beispielen und bekennt sich zu Formen zivilen Ungehorsams, die auch Risiken und Kosten für den Einzelnen nach sich ziehen. Inhaltsübersicht: 1. Beten für Deutschland: Die Parteien im Wahljahr; 2. Die Standort-Deutschland-Aktiengesellschaft; 3. Im Land der Mißbraucher, oder: Wie man Feindbilder herstellt; 4. Plädoyer gegen die Verwilderung: Für eine zivile Republik; 5. Anstiftung zum Widerstand gegen eine gefährliche Politik.
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.3 | 2.34 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Heribert Prantl: Sind wir noch zu retten? München/Wien: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/1942-sind-wir-noch-zu-retten_2321, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 2321 Rezension drucken