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Hans-Jürgen Burchardt / Rainer Öhlschläger (Hrsg.)

Soziale Bewegungen und Demokratie in Lateinamerika. Ein ambivalentes Verhältnis

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2012 (Studien zu Lateinamerika 16); 172 S.; brosch., 19,- €; ISBN 978-3-8329-7132-8
Soziale Bewegungen scheinen wieder auf dem Vormarsch zu sein; man denke nur an die Geschehnisse rund um Stuttgart 21 oder auch die jüngsten Proteste der griechischen und spanischen Bevölkerungen. Der sozialwissenschaftlichen Bewegungsforschung, die überwiegend mit westlich geprägten Begriffen und Theorien hantiert, kann in diesem Zusammenhang auch ein Blick nach Lateinamerika neue Perspektiven eröffnen, nicht zuletzt, um „einer kurzatmigen Fixierung auf Konjunkturen einer eng gefassten Gegenwart entgegen[zu]wirken“ (22), wie Klaus Meschkat in seinem Beitrag betont. Als „Laboratorium alternativer gesellschaftspolitischer Ansätze“ (Ganter und Steinhilber, 59) kann Lateinamerika aber nicht nur den Blick auf Erscheinungsformen und Erfahrungen von sozialen Bewegungen im Allgemeinen schärfen, sondern bietet eine Fülle empirischen Materials, das auch in Europa vor dem Hintergrund von Wirtschaftskrisen und politischen Legitimationsverlusten derzeit hochaktuell ist. Die Autorinnen und Autoren ordnen die jüngste Welle sozialer Bewegungen, die in Lateinamerika meist eng mit dem Wiedererstarken linker Regierungen in der letzten Dekade verbunden wird, zunächst historisch ein, analysieren das wechselnde Verhältnis sozialer Bewegungen zum Demokratiebegriff (Meschkat) und zeigen verschiedene Phasen von Mobilisierung und Protest auf (Tittor). Nachdem in vergleichender – und ebenfalls historischer – Perspektive die Rolle zweier spezifischer Akteursgruppen unter den sozialen Bewegungen (Frauen und Gewerkschaften, siehe die Beiträge von Potthast und Ganter/Steinhilber) diskutiert werden, stehen einzelne Ländererfahrungen im Blickpunkt von sechs weiteren Beiträgen. Dabei werden teilweise (insbesondere in dem Beitrag von Ebenau) auch die Einflüsse transnationaler Entwicklungen und Akteure berücksichtigt. In der Gesamtschau erhalten auch Nicht-Experten einen guten Einblick in die Gegenwart lateinamerikanischer sozialer Bewegungen, berichtigt wird so manches medial vermittelte Bild der Region. So wird etwa deutlich, dass soziale Mobilisierung nicht, wie oft postuliert, ausschließlich ein Mittel der Armen beziehungsweise Unterschichten ist. Gleichfalls lässt sich der meist verteufelte Populismus mancher lateinamerikanischer Machthaber nicht pauschal verurteilen, stand er nicht selten auch im Dienst einer umfassenderen Demokratisierung. Insgesamt handelt es sich um ein sehr lesenswertes Buch, nicht nur für Lateinamerika-Interessierte.
Björn Wagner (BW)
Dipl.-Politologe, Doktorand und Lehrbeauftragter, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.65 | 2.22 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Hans-Jürgen Burchardt / Rainer Öhlschläger (Hrsg.): Soziale Bewegungen und Demokratie in Lateinamerika. Baden-Baden: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34859-soziale-bewegungen-und-demokratie-in-lateinamerika_41903, veröffentlicht am 12.07.2012. Buch-Nr.: 41903 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken