Skip to main content
Thomas Bernauer

Staaten im Weltmarkt. Zur Handlungsfähigkeit von Staaten trotz wirtschaftlicher Globalisierung

Opladen: Leske + Budrich 2000; 424 S.; kart., 48,- DM; ISBN 3-8100-2498-8
Bernauer, Professor für internationale Beziehungen an der ETH Zürich, analysiert den Zusammenhang zwischen der Globalisierung (definiert als Zunahme der weltweiten Austauschbeziehungen) und der Handlungsfähigkeit von Staaten. In bewusster Abgrenzung von den "oft ideologisch geprägten Globalisierungsdiskursen" (370) geht er dabei empirisch vor. Die Antwort auf die Ausgangsfrage wird in drei Schritten gewonnen: Zunächst wird untersucht, wie die Offenheit eines Staates im Außenhandel und das Volumen der Staatstätigkeit zusammenhängen. Entgegen der gängigen Meinung, dass die Globalisierung die Handlungsfreiheit der Staaten beschränke, zeigen Berechnungen auf der Grundlage von Weltbank-Daten, dass Staaten mit einer hohen Außenhandelsquote tendenziell eine höhere Staatsquote aufweisen, die Bernauer als Maß für die Handlungsfreiheit eines Staates nimmt. Im zweiten (und umfangreichsten) Teil wird auf der Grundlage von Fallstudien untersucht, ob Bereiche der Wirtschaftspolitik, die in besonderer Weise von der Globalisierung betroffen sind, sich in hohem Maße durch Deregulierung und Liberalisierung auszeichnen. Die Ländervergleiche bezüglich der Kapitalvorschriften für Banken, der Besteuerung von Zinseinkünften und der Regulierung und Besteuerung multinationaler Unternehmen zeigen, dass nicht von einer allgemeinen Deregulierung gesprochen werden kann und es - entgegen einer verbreiteten Meinung - nicht zu einer allgemeinen Konvergenz der Wirtschaftspolitiken kommt. Eher als von einer allgemeinen Deregulierung lasse sich von einer Reorganisation der wirtschaftspolitischen Eingriffe sprechen, die nicht als Reduzierung der Handlungsfähigkeit der Staaten verstanden werden dürfe. Im dritten Teil argumentiert Bernauer am Beispiel von Schottland und Quebec, dass Autonomiebestrebungen begünstigt werden, wenn die Globalisierung zu einer stärkeren Integration der betreffenden Gebiete in den Weltmarkt führt. Dies bestätige die These, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen der Globalisierung und der zunehmenden politischen Fragmentierung gebe. Die empirischen Untersuchungen von Bernauer sind zweifelsohne ein interessanter Beitrag zur Globalisierungsdiskussion; gegen die verbreiteten Apologien des globalen Wettbewerbs, der "Weltgesellschaft" oder des Weltstaates hält er die nüchterne Analyse der Fakten. Doch gleichzeitig zeigt das Buch die Grenzen der empirischen Analyse, die wesentlich darin liegen, dass qualitative Aspekte und die Frage nach dem richtigen Verständnis des Beobachteten zugunsten quantitativer Erhebungen vernachlässigt werden: So ist - als Beispiel - die Staatsquote alles andere als ein eindeutiger Maßstab für die Handlungsfreiheit eines Staates, denn genauso berechtigt ließe sich argumentieren, dass eine höhere Staatsquote Zeichen für die wachsende Ohnmacht eines Staates gegenüber den Ansprüchen seiner Bürger sei. Ähnlich unbefriedigend ist die These, dass nicht eine allgemeine Deregulierung, sondern nur eine Reorganisation der wirtschaftspolitischen Eingriffe zu beobachten sei: Die Frage ist doch, ob nicht mit dieser Reorganisation ein grundsätzlicher Wandel im Verhältnis von Politik und Ökonomie verbunden ist; einen Hinweis auf einen solchen Wandel gibt z. B. die zunehmende Übertragung des ökonomischen Maßstabs der Effizienz auf die Politik. Nach Bernauer fehlt es in der Globalisierungsdiskussion "nicht an weitschweifigen Theoriedebatten [...], sondern an systematisch durchgeführten empirischen Arbeiten" (62) – im Ergebnis aber wird deutlich, wie sehr es noch am theoretischen Verständnis des Globalisierungsprozesses fehlt.
Hendrik Hansen (HH)
Dr., Lehrbeauftragter, Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 4.43 | 2.2 | 2.262 | 3.5 Empfohlene Zitierweise: Hendrik Hansen, Rezension zu: Thomas Bernauer: Staaten im Weltmarkt. Opladen: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/10281-staaten-im-weltmarkt_12163, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 12163 Rezension drucken