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Andreas Anter / Wilhelm Bleek

Staatskonzepte. Die Theorien der bundesdeutschen Politikwissenschaft

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2013 (Staatlichkeit im Wandel 18); 149 S.; kart., 24,90 €; ISBN 978-3-593-39895-2
Ausgangspunkt der prägnanten Schrift ist das von den Autoren mit Hermann Heller geteilte Diktum, dass Politikwissenschaft ohne eine Staatslehre nicht möglich ist. Dies liege nicht nur daran, dass der Staat entgegen mancher Jubel‑ oder Unkenrufe noch immer der zentrale politische Akteur sei, sondern auch, dass er sich als wichtiger Brückenbegriff für die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen „Staatswissenschaften“ anbiete. Vor diesem Hintergrund rekonstruieren Andreas Anter und Wilhelm Bleek die Geschichte der bundesdeutschen politikwissenschaftlichen Disziplinen und befragen sie nach ihrem jeweiligen Staatsbegriff: Während in den 50er‑Jahren in deutlicher Anknüpfung an die Staatsrechtslehre der Jahrhundertwende der Staat selbstverständlich vorausgesetzt und deshalb diese Staatsorientierung selbst kaum reflektiert wurde (was übrigens die zuvor polemische Absetzbewegung von Max Weber und Carl Schmitt erklärt), steigerte sich in den 60er‑Jahren das Interesse an einer Analytik des Staates. Damit verbunden war – sofern nicht bloß auf ökonomistische Konzepte zurückgegriffen wurde oder der Staat systemtheoretisch als Artefakt verabschiedet wurde – ein seit den 70er‑Jahren im Gewand der Policy‑Forschung auftretendes erneutes Interesse an der Analyse der Staatsaufgaben, das sich durch die Institutionentheorie der 80er‑Jahre eher vergrößert hat. Es ist kein Wunder, dass an dieser Stelle wieder auf Weber zurückgegriffen wird. Nach der einer Gauß'schen Glockenkurve folgenden Darstellung kommen die Autoren zu dem Schluss, dass der Staat eine normative Notwendigkeit sei, bleibe er doch der Adressat von Legitimationsvorstellungen und damit der wesentlicher Garant für Frieden, Freiheit und Wohlstand – was insbesondere die Bedrohung jener Werte durch failed states bezeuge. Hieraus erweise sich die zentrale Aufgabe der Politikwissenschaft, an ihrer Staatsorientierung festzuhalten. Aber kann man einfach an ein Konzept, wie es Weber vertrat (und nie abschließend ausgeführt hat) heute unmittelbar anknüpfen? Gehört es nicht zur fairen Darstellung, dass die Einwände gegen eine Staatswissenschaft nicht allein aus einem Vorbehalt gegen einen politischen Konservatismus rühren, sondern sich auch gegen einen theoretischen Traditionalismus richten, den Staat als Person zu mystifizieren und die Differenzierung der Sozialwissenschaften auszublenden? Hier liegt eine Schwäche des sehr anregenden Buches: Die methodischen Einwände der Kritiker des „Staates“ – man denke etwa an die Hans Kelsens – kommen zu kurz.
Frank Schale (FS)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.2 | 1.1 Empfohlene Zitierweise: Frank Schale, Rezension zu: Andreas Anter / Wilhelm Bleek: Staatskonzepte. Frankfurt a. M./New York: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35988-staatskonzepte_43964, veröffentlicht am 25.07.2013. Buch-Nr.: 43964 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken