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Katharina Raabe / Manfred Sapper (Hrsg.)

Testfall Ukraine. Europa und seine Werte

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2015 (edition suhrkamp); 256 S.; 15,- €; ISBN 978-3-518-07123-6
Zweifellos nicht nur in den Augen der Herausgeber markieren die Ereignisse in der Ukraine – die Annexion der Krim und die militärischen Aktionen der Separatisten – einen „tektonische[n] Bruch“ (247), der die Grundlagen der europäischen Sicherheitsordnung erschüttert. Angesichts der Umstände dieser eindeutigen Verletzung des Völkerrechts erscheint diese Metapher plausibel, weniger eindeutig jedoch dürfte die mit dem Titel des Bandes benannte Klammer sein. Die Ukraine als Testfall für Europa und seine Werte zu sehen, setzt eine Klarheit zeitgeschichtlicher, politischer und analytischer Bezugspunkte voraus, von der man gegenwärtig nicht ausgehen kann. Vor diesem Hintergrund gehört es zu den Verdiensten der hier zusammengestellten Beiträge von Publizisten, Politikwissenschaftlern und Historikern, Annäherungen an mögliche Dimensionen des Konflikts zu diskutieren. Das gilt zunächst für sechs Berichte aus der Lebenswelt der Betroffenen, die eindrücklich die Kriegswirklichkeit auf der ukrainischen und die Maschinerie der nationalistischen Propaganda auf der russischen Seite beschreiben. Ebenso anregend sind die Versuche, die Krise und deren Implikationen zu deuten. Als eine Schwierigkeit eines angemessenen Verständnisses stellt Karl Schlögel die sowjetzentrierte Perspektive heraus, die die Osteuropaforschung weithin bestimmt hat. Damit blieb die Ukraine – eine „Illusion des Westens“ (170), wie Helmut Schmidt provozierend behauptete – eigentlich terra incognita. Das betrifft sowohl die ukrainischen Widerstandstraditionen (Beitrag von Andreas Kappeler) als auch die von ukrainischer beziehungsweise russischer Seite geführten Geschichtsdebatten über den Status der Donbass‑Region (Andrew Wilson) und spiegelt sich ebenso in der eigentümlichen Diskussion über die vermeintliche Schuld des Westens an dem neoimperialen Agieren Russlands (Bruno Schoch). Die Besetzung der Krim verweist auf eine Rückkehr der Geopolitik (Stefan Auer), die Herfried Münkler in die Differenz imperialer Strategien einordnet: hier das auf die Kontrolle von Strömen (Kapital, Informationen, Güter usw.) ausgerichtete globale Projekt der USA, dort das auf die Kontrolle von Territorien zielende Imperialprojekt Russlands.
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Rubrizierung: 2.612.252.624.223.6 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Katharina Raabe / Manfred Sapper (Hrsg.): Testfall Ukraine. Frankfurt a. M.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38993-testfall-ukraine_46890, veröffentlicht am 22.10.2015. Buch-Nr.: 46890 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken