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Avishai Margalit

Über Kompromisse – und faule Kompromisse

Berlin: Suhrkamp 2011; 251 S.; 22,90 €; ISBN 978-3-518-58564-1
Die Fähigkeit zum Kompromiss zählt zweifellos zu den wesentlichen Kompetenzen, über die verfügen muss, wer politisch handeln will. Allerdings ist die Skala dessen, was im politischen Raum als Kompromiss gilt, breit und reicht von taktisch motivierten Übereinkünften bis zu strategischen Vereinbarungen, bei denen die konkurrierenden Parteien aus prinzipiellen Erwägungen heraus substanzielle Zugeständnisse machen. In deutlicher Abgrenzung zu einem lediglich technischen Verständnis – in dem sich die Zweideutigkeit des Begriffs selbst widerspiegelt – möchte Margalit eine normative Phänomenologie des politischen Kompromisses vorlegen. Ausgehend von der Spannung zwischen Frieden und Gerechtigkeit fragt er: „Wie weit können wir für den Frieden gehen, wenn wir dafür Abstriche bei der Gerechtigkeit machen müssen?“ (17) Seine These lautet: recht weit; dabei hat sich die Bewertung von Kompromissen stets am besonderen Fall zu orientieren und sie muss zudem zwei grundsätzlich differente Bilder von Politik berücksichtigen, die für Konfliktparteien leitend sein können. Ein religiöses Bild von Politik ist von der Idee des nicht verhandelbar Heiligen bestimmt, während für ein ökonomisches Politikverständnis letztlich alles Gegenstand eines Kompromisses werden kann. Für Margalit gibt es nur eine strikte Grenze: Es steht uns nicht frei, uns auf faule Kompromisse einzulassen, also auf solche, die ein Regime der Grausamkeit und der Erniedrigung etablieren oder stützen. Er diskutiert sorgfältig in einem bewusst diskursiven Vortragsstil, der immer die Balance zwischen dem Rhetorischen und dem Logischen wahrt, eine Reihe von kritischen Beispielen, die – bis auf wenige Ausnahmen – Aufstieg und Zerfall des nationalsozialistischen Terrors betreffen. Dazu zählt – als eindeutiger Fall eines faulen Kompromisses – das Münchner Abkommen von 1938, aber auch die Zusammenarbeit der Alliierten mit Stalin – in der historischen Situation das geringere Übel, weil der Nazismus in der Doktrin wie in der Praxis ein „bewusster Angriff auf die Idee gemeinsamen Menschseins und damit auf die Idee von Moral schlechthin“ (217) war.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.44 | 4.1 | 4.41 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Avishai Margalit: Über Kompromisse – und faule Kompromisse Berlin: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34200-ueber-kompromisse--und-faule-kompromisse_41035, veröffentlicht am 01.03.2012. Buch-Nr.: 41035 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken