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Alexander Reinfeldt

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit? Akteure und Strategien supranationaler Informationspolitik in der Gründungsphase der europäischen Integration, 1952-1972

Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014 (Studien zur Geschichte der Europäischen Integration 19); 329 S.; 54,- €; ISBN 978-3-515-10203-2
Diss. Hamburg; Begutachtung: G. Clemens, A. Schildt. – Eine der wohl am häufigsten geäußerten Kritiken an der Europäischen Union bezieht sich auf die vermeintliche Diskrepanz zwischen dem Europa der Bürger und dem der politischen Eliten. Supranationalität, also die Bündelung von Entscheidungskompetenzen jenseits des Nationalstaates, und Elitenorientierung präsentieren sich dabei als zwei Seiten derselben Medaille: Beide gelten gemeinhin als Faktoren, die zur Bürgerferne der EU beitragen. Alexander Reinfeldt weist in seiner zeitgeschichtlichen Untersuchung der Kommunikationspolitik supranationaler Institutionen in der Frühphase des europäischen Integrationsprojektes auf einen offensichtlichen logischen Widerspruch hin: Wenn funktionale Herrschaft, Experten‑ beziehungsweise Elitensteuerung auf supranationaler Ebene charakteristisch für die europäische Integration zwischen 1952 1972 gewesen sind, welche Gründe und Motive können „die europäischen Exekutiven überhaupt bewogen haben, Informationspolitik zu betreiben, und welche Ziele [wollten] sie mit der von ihnen betriebenen Informationspolitik erreichen“ (75)? Reinfeldt zeigt anhand der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und von EURATOM auf der Grundlage der Auswertung des Archivmaterials der Organisationen, dass, obwohl in den Gründungsverträgen der europäischen Institutionen ursprünglich gar nicht vorgesehen, die exekutiven Gremien der untersuchten europäischen Gemeinschaften aktiv Kommunikationspolitiken betrieben haben. Zu den unterschiedlichen Gründen hierfür zählt der Autor neben der Wahrnehmung der Schaffung der Voraussetzungen für die Zielerfüllung der jeweiligen Institutionen vor allem auch die Bereitstellung von sachlich‑technischen Informationen über die Funktionsweise der Institutionen, hinter die „die Ziele der Propagierung des Europagedankens und der Schaffung eines europäischen Bewusstseins“ (302) zurücktraten. Adressaten dieser Informationspolitik waren vor allem Multiplikatoren und Meinungsführer, über die wiederum die allgemeine Öffentlichkeit erreicht werden sollte. Reinfeldts Vorschlag, die Exekutiven der frühen europäischen Gemeinschaften in der Rolle von supranationalen Akteuren im Integrationsprozess zu verstehen, überzeugt auch durch den Hinweis auf das Selbstverständnis dieser Institutionen, die ihre Informationspolitik auch als Integrationspolitik sahen.
Christian Patz (CPA)
M.A., Politikwissenschaftler, wiss. Mitarbeiter, Institut für Sozialwissenschaften, Fachbereich Politikwissenschaft, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Rubrizierung: 3.43.33.1 Empfohlene Zitierweise: Christian Patz, Rezension zu: Alexander Reinfeldt: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit? Stuttgart: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37385-unter-ausschluss-der-oeffentlichkeit_45683, veröffentlicht am 07.08.2014. Buch-Nr.: 45683 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken