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Saskia Wendel (Hrsg.)

Was ist und wie entsteht demokratische Identität?

Göttingen: Wallstein Verlag 2014 (Preisschriften des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover 7); 72 S.; brosch., 14,90 €; ISBN 978-3-8353-1521-1
Die drei Beiträge des Bandes geben jeweils andere Antworten auf die titelgebende Frage, die als Preisfrage des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover für das Jahr 2013 ausgeschrieben war. Im Zentrum des Beitrages von Felix Heidenreich steht die Idee eines „vokativen Wir“ als ebenso „unabgeschlossene, entwicklungsoffene und unterbestimmte“, dadurch jedoch nicht „fiktive, beliebige oder unbestimmte“ (19) Identitätsfindung im Rahmen demokratischer Praxis. In diesem Sinne bleibt das Demokratische nicht bloß immer nur eine prekäre, situativ aufscheinende, aus einem Gefühl des Protestes, des Nicht‑Einverstandenseins heraus formulierte Unmutsbekundung; es bleibt auch stabil, da es den Anderen weder rechtlich noch existenziell negiert. Darin unterscheidet sich die demokratische Selbstbewusstwerdung im Sinne eines ‚Wir sind das Volk’ von populistischer Stimmungsmache im Sinne jenes unsäglichen ‚Deutschland den Deutschen’, wie es gegenwärtig – zumindest dem Sinn nach – bei zahlreichen sogenannten besorgten Bürgern wieder aufscheint. Martin Breul attestiert in seinem Beitrag der demokratischen Identität eine Art Doppelstruktur, insofern diese einerseits auf formalen, andererseits aber auch von individuell zu erbringenden Bedingungen abhängt. Während sich demnach die formalen Bedingungen auf die als legitim anerkannten Strukturen und Prozesse der Verfassung beziehen, liegen die individuellen Vorleistungen – hierin folgt er Böckenförde – in sozialen, kulturellen etc. Dispositionen begründet, die insbesondere die liberale Demokratie aus sich selbst heraus nicht erzeugen könne. Matthias Katzer schließlich fragt, warum Demokratie überhaupt anerkennungswürdig ist und welche Überzeugungen tatsächlich von allen geteilt werden können. Letztlich zieht er sich dabei – in Anlehnung an die liberale politische Philosophie von John Rawls – auf einen funktionalen, kleinstmöglichen Konsens zurück: „Demokratische Identität ist zunächst die Akzeptanz von Minimalbedingungen, die für das Funktionieren einer Demokratie notwendig sind. Diese Bedingungen umfassen Verfahrensregeln der gleichberechtigten Teilhabe aller an gemeinsamen Entscheidungen sowie den Schutz von grundlegenden Freiheiten aller.“ (66) Die ebenso spannenden wie auch streitbaren Essays verdeutlichen in der Summe vor allem eines: Über das, was demokratische Identität, was mithin Demokratie ist, sein soll und sein wird, wird weiter zu streiten sein.
{LEM}
Rubrizierung: 5.415.42 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Saskia Wendel (Hrsg.): Was ist und wie entsteht demokratische Identität? Göttingen: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39089-was-ist-und-wie-entsteht-demokratische-identitaet_46266, veröffentlicht am 19.11.2015. Buch-Nr.: 46266 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken