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Anne Menzel

Was vom Krieg übrig bleibt. Unfriedliche Beziehungen in Sierra Leone

Bielefeld: transcript Verlag 2015; 401 S.; 39,99 €; ISBN 978-3-8376-2779-4
Diss. FU Berlin; Begutachtung: S. Chojnacki, T. Bonacker. – Im Rahmen von Peace‑Building‑Maßnahmen werden oft Konfliktlinien als gegeben angenommen, die für die soziale Realität der jeweiligen Nachkriegsgesellschaft gar nicht in der Weise auftreten oder maßgeblich sind. Und angesichts der Komplexität und Dynamik von Bürgerkriegen ist häufig gar nicht treffsicher auszumachen, „wer auf der Seite welcher Kriegspartei steht?“ (22) Von dieser Beobachtung ausgehend, hinterfragt Anne Menzel die vermeintliche Trennlinie zwischen der Zivilbevölkerung und Ex‑Kombattanten in der Nachkriegsgesellschaft Sierra Leones. Sie unternimmt eine „konfrontative Problemanalyse“ (19) der Ordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse nach dem Ende des von 1991 bis 2002 währenden, wegen seiner räumlichen Ausbreitung und Unberechenbarkeit als „rebel war“ bezeichneten Krieges. Im Mittelpunkt steht der gesellschaftliche Umgang mit weiterhin bestehenden unfriedlichen Beziehungen, die Menzel mithilfe der Sozialtheorie von Bourdieu und insbesondere dessen handlungstheoretischem Habitus‑Konzept auf der Grundlage eigener empirischer Forschungen konzeptionalisiert. Dies erfolgt im Rahmen einer zunächst „provisorischen“ (81) und anschließend „empirisch modifizierten Prozessvorstellung“ (295) über verinnerlichte Wahrnehmungs‑ und Handlungsmuster in Bezug auf Gewaltbereitschaft und ‑erwartung zwischen Exkombattanten und der Zivilbevölkerung. Unter anderem zeigt sich, dass „vor allem bike riders, car wash boys, Straßenkinder und arbeitslose junge Männer pauschal als ‚gefährliche junge Männer‘ angesehen [werden], weil sie ‚gefährlich aussehen‘: […] Sie entsprechen jeweils in den Augen wachsamer Betrachterinnen und Betrachter einer speziellen Ästhetik des Gefährlichen, die es nahe legt, sie unter Exkombattanten‑Verdacht zu stellen? (207). Durch Menzels analytische Unterscheidung zwischen den „Wachsamen“ und den „Gefährlichen“ (195 ff.) wird deutlich, dass die Trennungslinie zwischen Zivilbevölkerung und Exkombattanten für die Analyse der gesellschaftlichen Prozesse wenig zielführend ist. Vielmehr kann Menzel nachvollziehen, „wie es prozesshaft dazu kommen konnte, dass ‚gefährliche junge Männer‘ andauernd für gewaltbereit gehalten werden; dass Mädchen und Frauen aus der Verrohtheitsannahme generell ausgenommen sind; und dass ‚gefährliche junge Männer‘ gerade nicht intuitiv und gewohnheitsmäßig gewaltbereit sind und zudem mit in die Klasse der Wachsamen hingezählt werden können“ (345). Die Arbeit schließt mit fruchtbaren Anregungen für weitere Forschungen.
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Rubrizierung: 2.672.25 Empfohlene Zitierweise: Anke Rösener, Rezension zu: Anne Menzel: Was vom Krieg übrig bleibt. Bielefeld: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38949-was-vom-krieg-uebrig-bleibt_47084, veröffentlicht am 08.10.2015. Buch-Nr.: 47084 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken