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Daniela Dahn

Wehe dem Sieger! Ohne Osten kein Westen

Reinbek: Rowohlt 2009; 302 S.; 16,90 €; ISBN 978-3-498-01329-5
Das Buch möchte man im ersten Moment wieder zuklappen – das Vorwort ist abschreckend, nicht nur weil die Schriftstellerin Dahn so laut wie möglich herausschreit, dass sie ein Ossi ist. Auch die Gleichsetzung von Altem und Neuem Testament, Koran und Kapital eröffnet nicht gerade den Ausblick auf eine differenzierte Analyse. Aber hat man die grundsätzliche Frage, warum der Sieger (also: der Westen) mit seinem Sieg über den Sozialismus nichts anfangen kann, hingenommen und den Gedanken beiseite geschoben, dass ihm der Sieg vielleicht nur zugefallen ist, weil sich der Osten ganz alleine ruiniert hat – dann lässt sich der Lektüre durchaus etwas abgewinnen. Allein das dritte Kapitel hätte ein ganzes Buch ergeben können: Dahn geht dem nach, was der Westen an praktisch in der DDR Erprobtem verloren hat, stellt das Berufsbeamtentum zur Diskussion und verweist darauf, dass die landwirtschaftlichen Betriebe, auf die die Treuhand keinen Zugriff hatte, heute zu den wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen in den neuen Bundesländern gehören. Dies wirft natürlich die Frage auf, wie man heute dastehen würde, hätte man den Menschen mehr Verantwortung und vor allem die Verfügungsmacht über die vormals staatseigenen Betriebe eingeräumt. Dahn fragt, warum „die neoliberalen Politiker das ihnen zu treuer Hand anvertraute Eigentum des Volkes“ (112) unwiderruflich verscherbelten und ob sie, „untergebracht in Aufsichtsräten und treuhänderischen Beiräten aller Art, persönliche, materielle Vorteile davon“ (113) hatten. Hervorzuheben ist außerdem das Kapitel über die deutsche Beteiligung am Jugoslawien-Krieg, Dahn verweist auf die Manipulation der öffentlichen Meinung und die tabuisierte Bilanz des Krieges, bei dem „etwa 1.200 Zivilisten“ (227) getötet worden seien. Insgesamt ist das Buch eine mit vielen Argumenten unterfütterte Polemik gegen den Zustand des Westens, deren politische Radikalität man vielleicht ablehnen mag. Aber 20 Jahre nach der friedlichen Revolution werden durchaus Anknüpfungspunkte für die weitere politische Diskussion über die Frage angeboten, in was für einem Land wir leben wollen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.32.3152.3142.35 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Daniela Dahn: Wehe dem Sieger! Reinbek: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/30334-wehe-dem-sieger_36000, veröffentlicht am 15.09.2009. Buch-Nr.: 36000 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken