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Dieter Senghaas

Weltordnung in einer zerklüfteten Welt. Hat Frieden Zukunft?

Berlin: Suhrkamp 2012 (edition suhrkamp 2642); 276 S.; 15,- €; ISBN 978-3-518-12642-4
Die Welt, so lautet Senghaas’ eingangs formulierte Annahme, ist lediglich für knapp ein Fünftel ihrer Bewohner jene OECD-Welt, aus der heraus seit Ende des Kalten Krieges Weltordnungspolitik im Sinne des so schillernden Konzepts der Global Governance formuliert worden ist. Für den Rest gilt ein ganz anderer, verstörender Befund: „Machtasymmetrien, asymmetrische Austauschstrukturen mit abgeschichteten Zentrum-Peripherie-Profilen, unterschiedliche Ausprägungen von Staatlichkeit und den ihnen zugrunde liegenden Gesellschaften, Kulturkonflikte: dies sind entscheidende Merkmale einer realiter zerklüfteten Welt.“ (8 f.) – Die Frage lautet dann: Wie kann man dieser Welt ordnungspolitisch überhaupt noch beikommen? Senghaas möchte den gegenwärtigen „OECD-bias“ (12) in der Debatte über Global Governance zu überwinden helfen, weil nur so eine nach wie vor realistische Chance für eine friedlichere Welt gegeben sei. Er entwickelt eine neue Weltordnungspolitik, die nach wie vor auf eine Makrostruktur in Form von Staaten angewiesen bleibt: Zwar können Staaten – durch eine territorial zugewiesene Verantwortung für ihre Gesellschaft – in der Tat global betrachtet stabilisierend wirken. Das Problem der Staatenkonkurrenz – bis hin zum klassischen, zwischenstaatlichen Krieg – ist damit aber noch nicht beseitigt. Auch durch die Struktur internationaler (UN) oder supranationaler (EU) Organisationen ist hier nur bedingt Abhilfe zu erhoffen, denn beide Entwürfe überstaatlicher Kooperation kranken immer noch an institutionellen oder wachstumsbezogenen Problemen. Ähnlich skeptisch ist Senghaas mit Blick auf die Entwicklung eines weltweit gültigen Rechtsstandards – denn „Weltrecht oder Menschheitsrecht“ (159) setzt seinerseits nicht nur die Existenz von Staaten, sondern von funktionierenden, demokratisch verfassten Staaten voraus, die das Rule of Law als Kernprinzip ihres Funktionierens auch akzeptiert und verinnerlicht haben. Am Ende seiner Analyse, die auch Aspekte der Bekämpfung der globalen Armut sowie des Umgangs mit kultureller Heterogenität mit einbezieht, kommt Senghaas angesichts der Frage, die den Untertitel seines Buches abgibt – „Hat Frieden Zukunft?“ – zu der Einschätzung, dass dem globalen Frieden die Pazifizierung einzelner Gesellschaften vorangeht. Diese ist nur durch einen demokratisch verfassten, auf rechtsstaatliche Prinzipien verpflichteten Staat nachhaltig zu gewährleisten. Das ist dann immer noch überaus nahe am OECD-Ideal der Global Governance, das Senghaas eingangs als „OECD-bias“ bezeichnet hatte – es zeigt aber auch, dass die nur allzu häufig wiederholte Rede vom Ende der Staatlichkeit langsam, aber sicher an ihr wohlverdientes Ende gekommen ist.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 4.1 | 4.41 | 4.43 | 4.45 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Dieter Senghaas: Weltordnung in einer zerklüfteten Welt. Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35679-weltordnung-in-einer-zerkluefteten-welt_43080, veröffentlicht am 24.01.2013. Buch-Nr.: 43080 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken