
Wie Demokratie leben. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann
Seit dem Fall der Mauer stellen Länder mit demokratischer Regierungsform unter den Mitgliedstaaten der UNO die Mehrheit – dieser vordergründige Siegeszug verdeckt jedoch die qualitative Krise der liberalen Demokratie. Diese beruht – wie der an der Universität Florenz lehrende Zeithistoriker Ginsborg in seinem Essay ebenso lebhaft wie mit plausiblen Beispielen belegt – wesentlich auf strukturellen Schwächen der politischen Repräsentation. Eingerahmt von einem fingierten Dialog zwischen Karl Marx und John Stuart Mill – der eine die ökonomische Gleichheit, der andere die individuelle Freiheit betonend – diskutiert der Autor Defizite der real existierenden Demokratien. Dazu zählt er die faktische Dominanz der von der Lebenswelt der Wähler abgekoppelten politisch-administrativen Eliten, die Entleerung der politischen Öffentlichkeit durch ein mehr und mehr kommerzialisiertes Mediensystem, die wachsende Abhängigkeit der Politik vom Kapital und nicht zuletzt auch den in der Europäischen Union praktizierten Intergouvernementalismus, der dem Europäischen Parlament nur eine nachgeordnete Rolle zuweist. Um Demokratie wieder mit Leben zu füllen – so Ginsborg – müssten zwei unterschiedliche politische Ideen zusammengeführt und institutionell realisiert werden. Auf der einen Seite handelt es sich – anschließend an partizipative und deliberative Modelle – um eine Stärkung der Zivilgesellschaft in Gestalt lokaler Selbstverwaltung. Auf der anderen Seite bedürfte diese basisdemokratische Praxis aber einer Absicherung durch wirtschaftsdemokratische Elemente, weil sich sonst doch wieder starke ökonomische Ungleichheiten gegen die Gleichheit politischer Rechte durchsetzen würden.