
Zwischen Prekarisierung und Protest. Die Lebenslagen und Generationsbilder von Jugendlichen in Ost und West
Prekariat, Prekarität, Prekarisierung – mit diesen Begriffen wird seit Ende der 90er-Jahre auch in Deutschland über Erscheinungsweisen der neuen sozialen Frage diskutiert. Bei dem Konzept der Prekarität handelt es sich um eine Übernahme aus der – u. a. von Bourdieu, Castel und Paugam geführten – französischen Debatte. Im Zentrum stehen dort massive Formen sozialer Ausgrenzung, die zumal in französischen Vorstädten in erster Linie Jugendliche mit maghrebinischer Herkunft betreffen und zum Teil zu heftigen, von hoher Militanz gekennzeichneten Protesten geführt haben. Auch wenn das Konzept der Prekarität noch vieldeutig ist – und sich die Formen sozialer Ausgrenzung in Deutschland und Frankreich durchaus unterscheiden – so trifft es doch Folgen eines, von der Dominanz des Finanzmarktes geprägten Akkumulationsregimes, die sich in nahezu allen europäischen Gesellschaften beobachten lassen. Dieser „neue Geist des Kapitalismus“ – wie ihn die Soziologen Boltanski und Chiapello genannt haben (siehe ZPol-Nr. 22882) – beruht auf einer Produktionsweise, die auf der einen Seite durch Flexibilisierungen und atypische Arbeitsverhältnisse Beschäftigungssicherheiten systematisch abbaut, auf der anderen Seite durch Schwächung kollektiv-sozialstaatlicher Regulierungen Armutsrisiken individualisiert. Diese Konstellation erzeugt in den modernen Gesellschaften eine Zone der Verwundbarkeit (Castel), die nicht allein, aber doch in einem besonderen Maße die soziale Lage Jugendlicher und Jungerwachsener bestimmt. Gewiss verlaufen derartige Prekarisierungsprozesse kontextabhängig, sie haben in Ländern Westeuropas eine andere Gestalt als in denen Mitteleuropas. Die Autoren setzen sich mit Prekarität auch konzeptionell auseinander – etwa Klaus Dörre, Steffen Schmidt und Franz Schultheis/Stefan Herold –, der Schwerpunkt liegt jedoch in der Erörterung prekärer Lebenslagen von Jugendlichen, und dabei werden speziell die Verhältnisse in Ostdeutschland behandelt. Hervorgegangen ist der Band aus einem 2007 an den Universitäten Jena und Halle unter Leitung von Lutz Niethammer veranstalteten Workshop.